Die Erde von den Kindern geborgt

Im Gespräch mit MATTHIAS PLATZECK, Minister ohne Geschäftsbereich und Spitzenkandidat für die Grüne Partei im Bezirk Potsdam

Erinnern Sie sich an Ihn ersten Stunden als Minister?

An den Abend davor, Modrow hat an jenem Sonntag gesagt, dass er unter den Bedingungen nicht mehr weiterregieren wird. Das Land war ja wirklich am Zerfallen, die Parteien und Organisationen haben Ihn so kritisiert, dass er zu normaler Arbeit gar nicht mehr kam. Da hat er gesagt, entweder machen jetzt alle mit, oder er kündigt am Montag vor der Volkskammer.

Was ja dann nicht nötig wurde ...

Drei Stunden später hat Ibrahim Böhme die Vorverlegung der Wahl gefordert. Nur unter der Bedingung gehe die SPD in die Regierung. Heute denke ich, dass das richtig von Böhme war. Damals habe ich fürchterlich gemeckert. Wahltaktik, und wir haben wenig Chancen, bis dahin noch was auf die Beine zu stellen. Aber man muss das ja mal außerhalb der Wahlergebnisse sehen. Durch das Vorziehen der Wahl ist ein Stabilisierungseffekt reingekommen, weit die Leute sehen, bis zum 18. schaffen wir's vielleicht noch.

Haben die Grünen der DDR an diesem 18. also keine Chance?

Ich glaube, dass wir ein paar Vorteile haben gegenüber den anderen, weil's bei uns absolut nicht um die Macht geht. Uns geht's darum, ein paar gute Leute in die Volkskammer reinzukriegen, damit das Thema Ökologie dort nicht untergeht. Wenn ein paar Leute dort als ständige Mahner, sozusagen als schlechtes Gewissen auftreten, wäre das ein Anfangserfolg.

Müssen nicht aber größere Erfolge zwangsläufig an den Idealen grüner Politik - Verzicht auf Konsum, auf Wohlstand zugunsten der Erhaltung der Natur - scheitern?

Ich fürchte ja. Man ist geneigt, einfachen Lösungen hinterherzulaufen. Aber kurze Antworten auf die heutigen Probleme müssten jeden stutzig machen. Wir müssen Lösungen finden, die auch in zwanzig Jahren bestehen können. In der Beziehung werde ich mich nicht treiben lassen. Kompromisse werden wir alle machen müssen. Das sehe ich auch für die Grünen. Bloß - man maß seine Ausgangspunkte vorher festlegen. Wir haben uns so geeinigt, dass wir uns, auch ohne Rücksicht auf Wählerstimmen, treu bleiben. So mancher andere Slogan kommt vielleicht erst mal besser an, aber wer ein bisschen weiterdenkt, merkt, dass das ganz schnell ihn selbst treffen kann. Wir müssen gegenhalten, wir müssen dadurch gegenhalten, dass wir nachdenken.

Nun hat es den Anschein, die Umweltbewegung in der DDR ist ziemlich zersplittert. Jetzt hat sich neben Grüner Liga und Grüner Partei auch noch eine Greenpeace-Sektion gegründet. Konkurrenz?

Eher verschiedene Zweige für verschiedene Aufgeben. Die Grüne Liga ist ein Umweltbündnis, wo alle mitmachen können, egal welcher Partei sie angehören. Die Grüne Partei muss den Parlamentseinfluss sichern. Greenpeace ist unsere internationale Verbindung, orientiert auf weltweite konzentrierte Aktionen.

Und da gibt's kein Gerangel um Leute oder zwischen ihnen?

Wir hatten so was, dieser Hektik der Zeit geschuldet. Das hat sich entspannt, heute kandidiert Klaus Schlüter von der Liga für die Grüne Partei, zwei von der Greenpeace-Truppe sitzen für die Grüne Liga am Runden Tisch. Wir alle sind aus der grünen Bewegung der DDR hervorgegangen. Wir können uns ein Nebeneinander oder Gegeneinander gar nicht leisten, dafür sind wir viel zu wenige.

Wäre nicht ein noch breiteres Bündnis mit anderen Bürgerbewegungen nötig gewesen?

Ich habe auf dem Parteitag plädiert für ein Zusammengehen mit dem Bündnis '90 und dem Unabhängigen Frauenverband. Es gab zu viele Bedenken. Jetzt haben wir nur das Bündnis mit den Unabhängigen Frauen.

Eine entscheidende Schmälerung der Einflussmöglichkeiten?

So schlimm sehe ich das nicht. Ich hoffe, dass wir uns in der Volkskammer wiederfinden werden. Auch der Wahlkampf, den wir gegeneinander führen, ist eher freundschaftlich. Für mich trifft's ganz persönlich zu. Die Spitzenkandidatin hier beim NEUEN FORUM ist meine ehemalige Frau. Wir verstehen uns noch sehr gut und haben seit den Wahlen letztes Jahr einiges gemeinsam gemacht. Es widerstrebt mir, da jetzt künstliche Barrieren aufzubauen. Was soll das?

Was würden Sie aus der DDR in ein geeintes Deutschland übernehmen?

Die Art des Denkens in der DDR, die Art des relativ weltfernen Denkens, die hier üblich war, die ich für sehr menschlich halte. Die Art des Umgangs miteinander, die bestimmt auch aus der Notsituation geboten war. Und das, was sich im Untergrund entwickelt hat und im Oktober hochgekommen ist - die Chance das einzelnen, sich einzubringen in die große Politik . . . Ein bisschen erschreckt mich immer, wenn man nachdenkt, und so wenig bleibt.

Würden Sie eine Prognose für die Wahl wagen?

Ich habe neulich zwei West-Reportern auf diese Frage geantwortet, dass ich da in letzter Zeit recht depressiv werde. Nach Lage der Dinge schaffen wir die absolute Mehrheit wohl nicht . . . Aber im Ernst, ich denke schon, dass die SPD es macht am liebsten wäre mir eine rot-grüne Koalition unter Einbeziehung aller Bürgerbewegungen.

Das Gespräch führte
FRANK TREUE

aus: Märkische Volksstimme, Nr. 52, 02.03.1990, 45. Jahrgang, Unabhängige Tageszeitung im Bezirk Potsdam, Herausgeber: Verlag Märkische Volksstimme

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