Paris. BZ - Bo Adam Bei den 2 + 4-Gesprächen über die äußeren Aspekte der deutschen Einheit ist der Sprengstoff entschärft worden.

Zwar gibt es noch eine Menge haarige Details zu klären, doch im Grundsatz ist seit den Zugeständnissen der UdSSR gegenüber Bundeskanzler Kohl während der jüngsten Gespräche in Moskau und im Kaukasus eine Einigung der 2 + 4-Runde bis zum Herbst sicher. Vertreter aller Delegationen zeigten gestern in Paris Optimismus. Das KSZE-Gipfeltreffen in Paris im November kann stattfinden. Aus sowjetischer Sicht könnte man die 2 + 4-Runde möglicherweise sogar mit dem nächsten Außenministertreffen am 12. September in Moskau beenden.

Im Mittelpunkt der gestrigen Gespräche in der französischen Hauptstadt stand die völkerrechtliche Absicherung der polnisch-deutschen Grenze. Durch den inzwischen beendeten monatelangen Eiertanz der Bundesregierung und insbesondere des Kanzlers in dieser Frage war Polen hochgradig sensibilisiert worden, und forderte auch hier in Paris klare Garantien. Die Bundesrepublik Deutschland und Polen haben sich dann nach langem Streit auf den Abschluss eines Vertrages zur endgültigen Anerkennung der polnischen Westgrenze geeinigt. Bundesaußenminister Hans-Dietrich Genscher sagte nach einem Treffen mit seinem polnischen Kollegen Krzystof Skabiszewski am Rande der Gespräche in Paris, der Vertrag solle nach der deutschen Einigung und der Herstellung der deutschen Souveränität Unterzeichnet und ratifiziert werden.

Nach Angaben aus Teilnehmerkreisen vereinbarten die Minister außerdem, zwischen beiden Ländern einen weiteren Vertrag über gut nachbarschaftliche Beziehungen ähnlich dem geplanten Grundlagenvertrag mit der UdSSR zu schließen.

Am Rande des Pariser Treffens waren zudem deutsch-deutsche Dissonanzen nicht zu übersehen, in bundesdeutschen Delegationskreisen zeigte man sich ziemlich unwirsch über kritische Bemerkungen der DDR-Regierung. Zuvor hatte Minister Meckel vor Pressevertretern diese Vereinbarungen als entscheidenden Schritt zur Vereinigung begrüßt. Gleichzeitig verwies er aber auf weiterhin bestehende unterschiedliche Haltungen Ostberlins und Bonns. Dazu gehört der Wunsch der DDR-Regierung, Deutschland prinzipiell atomwaffenfrei zu halten. Markus Meckel widersprach auch der Auffassung Helmut Kohls, wonach es eine einheitliche Bundeswehr geben werde. Auf dem Gebiet der DDR müsse es, so Meckel, auch künftig eine Armee mit eigener Struktur und unabhängigem Oberbefehl geben. Während der Kanzler die volle militärische Integration Deutschlands In die NATO verlangt hatte, sobald die sowjetischen Truppen das jetzige Territorium der DDR verlassen haben, befürwortete Meckel vehement die Kopplung dieser Frage an den KSZE-Prozess, der möglicherweise völlig neue bündnisübergreifende europäische Sicherheitsstrukturen entwickeln könnte.

Berliner Zeitung, Nr. 165, 46. Jahrgang, Mi. 18.07.1990

Paris (ND-Dümde). Die 4 + 2-Gespräche der Außenminister Frankreichs, Großbritanniens, der UdSSR und der USA sowie der BRD und der DDR werden am 12. September in Moskau fortgesetzt. Darauf einigten sich die Minister am Dienstag in Paris. Geklärt wurde die Frage der definitiven Anerkennung der Oder-Neiße-Grenze durch die BRD. Ein entsprechender Grenzvertrag soll nach der deutschen Vereinigung unterzeichnet werden. Über den Rohentwurf eines Abkommens über die Gewährung der vollen Souveränität an das künftige vereinte Deutschland hoffen die Außenminister in Moskau Einigung zu erzielen. Im Oktober ist ein letztes Treffen in London vorgesehen.

Im Mittelpunkt der gestrigen Nachmittagssitzung in Paris standen die völkerrechtlich verbindliche Fixierung der Oder-Neiße-Linie als unantastbare Grenze zwischen dem künftigen Deutschland und Polen sowie die von Warschau verlangten Garantien. An der Sitzung nahm Polens Außenminister Skubiszewski teil. Er war zuvor mit seinen französischen und BRD-Amtskollegen, Dumas und Genscher, zusammengetroffen, wobei es offenbar gelang, am Vormittag noch konstatierte "erhebliche Gegensätze" zwischen Bonn und Warschau zu überbrücken.

Polen hatte ursprünglich gewünscht, die Grundprinzipien des Dokuments zum Abschluss eines Grenzvertrages zu ergänzen. So sollte jede Erwähnung der deutschen Grenzen von 1937 im BRD-Grundgesetz gelöscht werden. Vorbedingungen hat Außenminister Skubiszewski nach dem Gespräch mit Genscher jedoch ausdrücklich fallengelassen.

Neues Deutschland, Ausgabe 165, Jahrgang 45, Mi. 18.07.1990

Das Pariser 4 + 2-Treffen war ein Durchbruch. Die Außenminister der vier Mächte, die seit der Zerschlagung des Hitlerfaschismus Verantwortung für Deutschland als Ganzen tragen, waren sich am Dienstagabend in Paris mit ihren beiden deutschen Kollegen einig. Was die äußeren Aspekte der deutschen Vereinigung anlangt, so spricht nichts mehr dagegen, dass noch vor Ablauf dieses Jahres ein unabhängiges Deutschland wiederersteht.

Sachfragen, die noch beim Berliner 4 + 2-Treffen im Juni umstritten waren, sind nun geklärt. Dass betrifft die Aufgebe der besonderen Verantwortlichkeiten und Rechte der vier Mächte vom Zeitpunkt der Vereinigung an sowie die volle und uneingeschränkte Souveränität für das künftige einige Deutschland. Das Recht, selbst über die Zugehörigkeit zu Militärbündnisse zu entscheiden, gehört ebenso dazu wie die vorbehaltlose Anerkennung der Unantastbarkeit der Grenzen.

Zweifel oder Befürchtungen, die es in dieser Hinsicht noch in Polen gab, konnten am Dienstag in Paris gleichfalls ausgeräumt werden. Die Außenminister der BRD wie der DDR erklärten: Das vereinte Deutschland wird aus der BRD, der DDR und Berlin bestehen. Nicht weniger, aber auch nicht mehr Genseher stimmte dem von der DDR unterstützten Verlangen Polens zu, die Oder-Neiße-Grenze völkerrechtlich verbindlich in einem gesonderten Vertrag anzuerkennen, der in kürzestmöglichen Frist nach der deutschen Vereinigung unterzeichnet und ratifiziert werden soll. Beide deutschen Staaten und Polen hatten Formulierungen gefunden, die „voll zufriedenstellend“ sind, sagte Außenminister Skubiszewski. Volles Verständnis habe er bei seinem BRD-Kollegen auch für die wirtschaftlichen, Probleme Polens gefunden. Zu Gesprächen darüber wurde eine Delegation aus Warschau nach Bonn eingeladen.

Aha, mag da mancher sagen. Auch in Paris glaubte ein britischer Journalist, nach dem wirtschaftlichen "Preis" fragen zu müssen, den Bonn Moskau für die Zustimmung zur Einheit und zur NATO-Mitgliedschaft gezahlt hat. Er erhielt eine Abfuhr. Außenminister Schewardnadse hatte schon seinem Eingangs-Statement verdeutlicht, was die UdSSR im Verlauf der 4+2-Gespräche davon überzeugt hat, dass die äußern Aspekte der deutschen Vereinigung parallel mit dem inneren Prozess gelöst werden können: das gegenseitige Verständnis, das im Verlauf zahlreicher intensives Kontakte zwischen allen sechs entstanden ist, die beginnende Veränderung der militärische Situation in Europa hin zu Streitkräften, die nur zur Verteidigung bestimmt sind. Absprachen über die Schaffung gemeinsamer Strukturen der Sicherheit, die Umwandlung der Militärblöcke in politische Bündnisse. "Wir schenken dem deutschen Volk auf beiden Seiten Vertrauen", betonte Schewardnadse. Weil es seit dem Kriege bewiesen habe, dass es sich Frieden und Demokratie verpflichtet fühlt...

Die Erwartung, dass es dabei bleibt, haben auch Polen und die anderen Teilnehmer von 4+2. Genscher wie Meckel betonten, dass sich die Deutschen gerade im Blick auf ihre Vergangenheit ihre großen Verantwortung bewusst sind. Der BRD Außenminister erklärte in Paris, "dass die Entscheidung der Deutschen, ihr Schicksal in das Schicksal Europas einzubetten, eine definitive und endgültige ist". Er sei „überzeugt, dass die deutsche Vereinigung ein Beitrag wird zur Schaffung des einen Europa..., an dem alle Staaten mitgestalten, die der Schlussakte von Helsinki ihre Unterschrift gegeben haben".

"Wir sind dabei, die historischen nationalen Interessen, die uns geteilt haben, durch ein gemeinsames europäisches und atlantisches Interesse zu ersetzen, das uns eint", sagte USA-Außenminister Baker vor der Presse. Gastgeber Dumas erklärte, dass "der Prozess der deutschen Einigung das Ende des traurigen kalten Krieges markiert“. Nach dem 17. Juli 1990 scheint es in der Tat, dass der Weg zu dem einen Europa, in dem alle Völker zum gegenseitigen Nutzen zusammenarbeiten, frei ist.

Nur ein Dissens blieb beim Pariser 4+2-Treffen unübersehbar: zwischen Bonn und Berlin. Außenminister Meckel wandte sich erneut gegen Kernwaffen im künftigen Deutschland, gegen dessen NATO-Mitgliedschaft als die einzige von Bonn anvisierte Perspektive, gegen Bundeswehreinheiten auf dem Gebiet der jetzigen DDR und westalliierten Truppen in Berlin. Genscher machte auf Befragen klar, dass man in Bonn kaum Neigung hat, die eigenen Positionen zu ändern Kommentar eines Kollegen. Wer A sagt, muss auch B sagen. Anschluss zieht Bevormundung nach sich.

Die fünf in Paris vereinbarten Prinzipien über den endgültigen Charakter der Grenzen Deutschlands, die in das Abschlussdokument der 4+2-Gespräche aufgenommen werden, haben folgenden Wortlaut:

1. Das vereinte Deutschland wird die Gebiete der Bundesrepublik Deutschland, der Deutschen Demokratischen Republik und ganz Berlins umfassen, Seine Außengrenzen werden definitiv die Grenzen der Deutschen Demokratischen Republik und der Bundesrepublik Deutschland am Tage des Inkrafttretens der endgültigen Regelung sein. Die Bestätigung des endgültigen Charakters der Grenzen Deutschlands ist ein wesentlicher Beitrag zur Friedensordnung in Europa.

2. Das vereinte Deutschland und die Republik Polen bestätigen die zwischen ihnen bestehende Grenze in einem völkerrechtlich verbindlichen Vertrag.

3. Das vereinte Deutschland hat keinerlei Gebietsansprüche gegen andere Staaten und wird solche auch in Zukunft nicht erheben.

4. Die Regierungen der Bundesrepublik Deutschland und der Deutschen Demokratischen Republik werden sicherstellen, dass die Verfassung des Vereinten Deutschland keinerlei Bestimmungen enthalten wird, die mit diesen Prinzipien unvereinbar sind. Dies gilt dementsprechend für die Bestimmungen, die in der Präambel und in den Artikeln 23, Satz 2, und 148 des Grundgesetzes für die Bundesrepublik Deutschland niedergelegt sind.

5. Die Regierungen der UdSSR, der USA, des Vereinigten Königreichs und Frankreichs nehmen die entsprechenden Verpflichtungen und Erklärungen der Regierungen der Bundesrepublik Deutschland und der Deutschen Demokratischen Republik förmlich entgegen und stellen fest, dass mit deren Verwirklichung der definitive, Charakter der Grenzen Deutschlands bestätigt wird.
Von unserem Korrespondenten Dr. CLAUS DÜMDE

Neues Deutschland, Do. 19.07.1990

Die Bundesregierung nimmt zur Kenntnis, dass die polnische Regierung in der Erklärung der Vier Mächte keine Grenzgarantie sieht.

Polen sprach sich dafür aus, die Rechte der Siegermächte nach der deutschen Einheit solange gelten zu lassen, bis der deutsch-polnische Grenzvertrag abgeschlossen ist. Was aber von westlicher-, besonders der BRD-Seite abgelehnt wird.

Die DDR-Delegation spielt keine Rolle mehr.

Der Vertrag zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Republik Polen über die Bestätigung der zwischen ihnen bestehenden Grenze wird am 14.11.1990 in Warschau von Bundesaußenminister Genscher und Außenminister Skubiszewski unterzeichnet.

Der Vertrag zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Republik Polen über gute Nachbarschaft und freundschaftliche Zusammenarbeit wird am 17. Juni 1991 von Bundeskanzler Kohl, Bundesaußenminister Genscher sowie Ministerpräsident Bielecki und Außenminister Skubiszewski in Bonn unterzeichnet.

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