Wir organisieren unseren Weltuntergang selbst

Rudolf Bahro's Verständnis zum Umweltschutz und zur Ökologie

Rudolf Bahro studierte, zu Beginn der 50er Jahre Philosophie an der Humboldt-Universität in Berlin. Nach Erscheinen seines Buches "Die Alternative. Zur Kritik des real existierenden Sozialismus", das dieser Tage 12 Jahre verspätet auch in der DDR erscheint, wurde er verhaftet. 1979 siedelte R. B. in die BRD über, wo er immer wieder seine Idee des "Auszugs aus dem Industriesystem" in die öffentliche Diskussion einbrachte. Es geht dem Philosophen um das massenhafte Bewusstwerden des selbsterzeugten Weltuntergangs.

taz: Herr Bahro, Sie gehören zu denjenigen, die über Jahre hinweg für eine ökosoziale Wende eingetreten sind. Was verstehen Sie unter Umweltschutz und Ökologie. Worin besteht die Kernthese ihres Konzepts?

Rudolf Bahro: Umweltschutz ist nur der Umgang mit den Symptomen unserer Massenproduktion. Er bedeutet: ein Stockwerk mehr aufs Industriesystem, neue Kilogramm, neue Kilowatt hinzu zu der Gesamtlast, mit der wir auf die Biosphäre drücken. Ökologie dagegen bezieht sich auf die Gleichberechtigung zwischen Mensch und Erde, verlangt nicht mehr Kapital, Beton und Arbeit, sondern radikal weniger. Wir Menschen machen den Weltuntergang selbst. Wenn wir keine naturverträgliche Lebensform finden, sind wir verloren. Es ist aber unwahrscheinlich, dass der Mensch nicht noch den Versuch unternehmen wird, eine Antwort auf die Herausforderung zu finden, die er sich selbst bereitet.

Wo würde die ansetzen?

Der Mensch ist ein Nimmersatt, wie Friedrich Schorlemmer sagt. Dieser Nimmersatt strebt nach Ersatzbefriedigungen, nach Dingen, Titeln, Jobs anstatt nach Liebe und Erkenntnis. Die Normalität egoistischen Handelns reicht schon aus, um die Katastrophe zu erklären. Wenn eben die demnächst 10 Milliarden Menschen "anständige Autos" brauchen, ist der Ausgang klar. Hilfreiche Ratschläge können heute nur von Menschen kommen, die das Glück hatten, über die kompensatorischen Befriedigungen hinauszukommen, solche wie Laotse, Buddha, Christus oder Frank von Assisi.

Welche Rolle spielen Spiritualität und Meditation bei ihrem gedanklichen Ansatz?

Das Wort Spiritualität handelt nicht von Geistern, sondern vom Geist. Der Mensch ist letztlich von der Evolution dazu bestimmt, reiner Spiegel des Universums zu sein. Würde der Mensch seine eigentliche Bestimmung ausleben, auch nur ernsthaft danach streben, dann hätte die Weltzerstörung ein Ende. Paradox ist ja, dass Leute, die immer an sich denken, in der Regel nicht bei sich sind, Glück gar nicht kennen.

Um zu sich selbst zu kommen, sein Wesen zu erfahren, kann der Mensch das Mittel oder die Mittelchen der Meditation nutzen. Dieser Mittel gibt es sehr viele. Für mich war, als ich dieses Wort noch gar nicht kannte, Meditation gewesen, Ton um Ton großer Musik zu folgen. Liebe in den Augenblicken, wo wir vermögen, dem inneren Gesetz des Anderen zu gehorchen, ist meditativ. Eine wesentliche Technik ist ausdauerndes Achten auf den eigenen Atem, dass heißt auf nichts als diesen ichfreien Naturvorgang.

Häufig wirft man Ihnen vor, eine Theorie der Apokalypse und der Askese zu vertreten. Wie stehen Sie zu dieser Kritik?

Mit Apokalypse, wenn es als Vorwurf gemeint ist, kann nur eine Ideologie gemeint sein. Wem in der jetzigen Phase der Geschichte bei Apokalypse Ideologie einfällt, der leidet unter Verhältnisschwachsinn. Und die Askese - ich lebe in einer Kommune ‚ wo wir verhältnismäßig liebevoll miteinander umgehen. Mit meiner Frau habe ich jetzt, weil über 50, ein kleines Mädchen von eineinhalb Jahren, genieße die Pflege, in die wir uns teilen. Im Vergleich mit so manchen Intellektuellen den ich kenne, führe ich vermutlich das glücklichere Leben. Ist nicht der Dienst an der Megamaschine, mit der wir uns umgeben haben, lebenslange Askese? Wenn die Leute, von der Krippe bis zum Grabe, ein Leben lang lernen, gute Funktionäre dieser Maschine zu sein und nicht den Kopf mit todorientiertem Wissen voll stopfen, das ist Askese, innerweltliche Askese, wie es Max Weber nannte.

Was wären für Sie Prinzipien einer neuen ökosozialen Gesellschaft?

Es macht keinen Sinn, Rezept-Sätze zu sagen, gerade hierzu stehen immerhin welche in meiner "Logik der Rettung", unter den "Axiomen eines Rettungsweges". Aber lebt, wer danach fragt, so, dass er was mit den Prinzipien anfangen kann? Nehmen Sie Ibrahim Böhme oder Rainer Eppelmann. Die haben sich in die Politkasterei begeben, sind Angestellte der Automatismen geworden, von denen die Welt zu Ende verwaltet wird. Ich finde das tragisch, weil es noch voriges Jahr schien, als wären sie dabei, die Flamme zu hüten. Ich klage sie nicht an, sehe aber, dass sie sich aufgegeben haben.

Wie müsste ihrer Meinung nach eine Regierungspolitik beschaffen sein, die in diese Richtung weist?

Derzeit ist hier noch keine Regierungspolitik möglich, die insgesamt vernünftig werden könnte. Es fehlen nicht nur die objektiven, es fehlen die subjektiven Voraussetzungen, länger hin setze ich aber auf diejenigen, die hier begriffen haben, dass die große Gesellschaft des Todes und des Teufels ist. Die müssen ihre Kräfte überparteilich zusammentun, um politischen Druck auszuüben. Es muss gelingen, wenigstens einen Teil der Investitionen freizumachen für einen ganz anderen Anfang. So gibt es beispielsweise eine deutsch-deutsche Initiative "Öko-Dorf". "Öko-Dorf" ist nun auch nur ein Begriff für die Außenseite der Sache. In Wirklichkeit ist der Inhalt sozialer Art. Und sozial geht es nur auf, wenn die Menschen, die aufbrechen wollen, innerlich umkehren. Vaclav Havel spricht davon, dass Weltverbesserung Selbstverbesserung voraussetzt. Das Einfache, das schwer zu machen ist: Eine neue Gesellschaft kann nur entstehen, wenn die Gegenseitigkeit nicht nur auf der Verteilung von Geld beruht, sondern wenn wir lieben lernen.

Das Öko-Dorf ist nicht die einzige Initiative, an der Sie mitarbeiten. Wie sieht es mit Ihrem Engagement an der Humboldt-Uni aus?

Ich will ein Zentrum für Sozialökologie schaffen, bei dem fünf bis sechs Leute angesiedelt sind und sich mit Themen wie „Grundlagen ökologischer Politik" befassen. Ich wünsche mir, dass wir gleichviel Männer wie Frauen sind. Aber dieser bewusst kleine Kern soll eher "leere Mitte" sein, soll Menschen aus allen Fachrichtungen anziehen. Es mag ein Netzwerk werden, dass auf Verbundenheit durch eine Idee beruht, kommunikative Züge zeigt. Wissenschaft ist kalt, Leben warm. Für ein solches Netzwerk bestehen derzeit gute Bedingungen in der DDR, weil viele Strohhalme und Balken, an denen man sich sonst festhalten konnte, davon geschwommen sind. Weder „Allianz" - oder sozialdemokratische Programme - noch die Verteidigung von Restbeständen der hier gescheiterten Struktur lassen hoffen. Nur aus der menschlichen Substanz heraus kann „alles neu" werden.

Gehen für Sie Markt und Ökologie zusammen?

Markt ist weder kapitalistisch noch sozialistisch aber was hier kommt, ist Kapitalismus "Markt" soll das nur verdecken. Kapitalismus und Ökologie sind unverträglich. Die Ideologen, die das anders in den Programmen verheißen, lügen. Die DDR gehört zu dem Fünftel der reichsten Länder der Erde, aber wir wollen zu dem reichsten Zwanzigstel gehören. Wir wollen schnellstens Top-Kolonialisten werden, gegen die übrige Menschheit und die Erde.

Welche politische Gruppierung in der DDR kommt mit ihrer Programmatik Ihren Ideen am nächsten?

Die Kräfte der in der DDR gewachsenen Opposition, während West-SPD, -CDU und Liberale ein Skandal sind, mir verächtlich. Es gibt das "Bündnis 90", also die Gruppierungen aus Neuem Forum, Demokratie jetzt, Initiative Frieden und Menschenrechte, mit denen ich sympathisiere. Und es gibt den Verbund aus Grüner Partei und Unabhängigem Frauenverband, der mir programmatisch am besten gefällt. Das sind die DDR-autonomen Kräfte, abgesehen davon, dass unter dem Dach der PDS jetzt neben opportunistischem "Sozial-sicher"-Ressentiment - auch gute Ideen geäußert werden, zu spät.

Ich bedanke mich für das Gespräch.

Das Interview führte Mara Kaemmel

die tageszeitung, DDR-Ausgabe, Do, 15.03.1990

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