Egal ist es mir nicht, was in der DDR passiert
BA-Interview mit dem Liedermacher Wolf Biermann
In ihren Konzerten Ende letzten Jahres sagten Sie, Sie seien nicht hergekommen. um sich in unsere Belange einzumischen. Ihre Absage an die DDR?
Ich bin hier geprägt worden. Und was ich denke und fühle, was mich ärgert und was mich freut, das hängt viel mehr mit dem zusammen, was hier passiert, als irgendwo in der Welt. Nicht weil es hier wichtiger, schöner oder interessanter ist, sondern weil ich hierher geraten bin. Dies hier ist mein Land, ob ich es gut finde oder nicht. Natürlich bin ich gekommen, um mich einzumischen. Egal ist mir nicht, was in der DDR passiert, aber der Geschichtsprozess hat eine andere Gewalt, als die Lieder von Wolf Biermann.
Sie sagten immer gegen Honecker "Ich bin Kommunist und du bis Konterrevolutionär" . . .
Worte wie Sozialismus und Kommunismus sind ihres ursprünglichen Inhalts beraubt. Man kann sie nicht mehr gebrauchen. Sie bedeuten für das Volk etwas anderes, als für uns, die wir gegen den stalinistischen Apparat kämpften. Das Wort Kommunismus stand einst für eine erträumte gerechte Gesellschaftsordnung. In der Stalinzeit wurde es zum zynischen Gegenteil all dieser Träume. Es stand dann in Wirklichkeit für doppelte Ausbeutung, für Heuchele, für Massenmord und für jedes Verbrechen. Der Kommunismus als Begriff ist gestorben und muss nun beerdigt werden, damit er wieder auferstehen kann.
Ich habe SPD-Redner auf der Dresdner Montagsdemo gehört. - Soviel Heuchelei bei diesen Wahrheitshelden. Die Zeit der Stasispitzel ist vorbei. (Hoffentlich.) Die Zeit der Verbrecher, die sich als Menschheitsbefreier missverstanden haben, ist vorbei. Aber die Stunde der Schaumschläger und Oberidioten ist gekommen. Mich hätten sie nicht so über den Tisch gezogen. Ich habe in Erfurt auf dem Domplatz zu den Demonstranten gesagt, was ich denke: "Ihr redet hier mit Schaum vorm Mund. Ihr wollt die Stasis umbringen. Dazu habt ihr kein Recht. Die Macht dieser Verbrecher bestand mehr als zur Hälfte in eurer Feigheit und Untertänigkeit." Ich habe beobachtet, dass diejenigen, die gekämpft haben, die gequält, eingesperrt und gedemütigt wurden, im Grunde sehr gütig reden. Während die Duckmäuser nun nach Rache brüllen. Da muss man kein großer Psychologe sein, um zu durchschauen, dass das der Hass ist, den sie nicht gegen sich selbst richten wollen. Die sollen den Stasi in sich lynchen. Da fließt nicht soviel Blut, aber es tut weh. Für wichtig halte ich, dass die Stasis nicht Lehrer werden können. Oder an wichtigen Punkten Arbeit kriegen, wo sie wieder Leute beherrschen.
Wird nicht zu viel pauschal verurteilt, ist nicht die Differenzierung abhanden gekommen?
Sie kann nicht abhanden gekommen sein, es hat sie nicht gegeben. Sie gehörte nicht zur politischen Kultur dieses Landes.
Aber es gab sie im zwischen menschlichen Bereich.
Nur leider stark reduziert. Die Verstümmelungen, die sie dir in der täglichen Arbeit beibringen, gibst du doch an deine Kinder, an deine Freunde, an deinen privaten Bereich weiter. Natürlich immer mit kleinen Abschwächungen.
Ist das nicht in der BRD ähnlich?
Nein. Aber es gibt eine andere Art von Druck, der mitunter noch unerbittlicher ist. Mit dem Parteisekretär oder dem Stasispitzei, der einen bedrohte, konnte man sich immer noch einigen. Gegen einen Pfändungsbescheid der Deutschen Bank kann man aber nicht einmal beteuern, dass man Stasispitzel werden will.
Aber haut ruhig nach dem Westen ab, wenn ihr unbedingt wollt. Kein Mensch soll das Recht haben, euch festzuhalten und abzuschießen. Das würden sie wieder gern. Aber ich gönne euch, wenn ihr auf die Schnauze fallt und eigene Erfahrungen macht. Ihr müsst euch nicht erzählen lassen, dass es furchtbar sei im Westen. Es ist sehr schön da. Und wer ein Schweinehund ist, bleibt im Osten wie im Westen ein Schweinehund. Und wer zwei linke Hände hat, hat überall zwei linke Hände. Aber bedenkt, wenn ihr das Land verlasst, ihr nehmt euch selber mit.
Wie sehen Sie die Zukunft der DDR?
Im Moment befindet sich die DDR im freien Fall. Wann der Aufschlag erfolgt und ob ihr weich in eine Scheiße fallt oder hart auf einen Stein, wer weiß? Ich bin auch unsicher, was ich euch wünschen soll.
Gespräch: Peter Chemnitz
Berliner Allgemeine, Di. 20.02.1990