Es reicht nicht aus, nur dagegen zu sein

Fragen an Pfarrer Rudi Pahnke zum Antifa-Bund

Am Wochenende wurde auf dem Kongress der Antifaschisten wieder ein seit der Auflösung der VVN Anfang der 50er Jahre überparteilicher, überkonfessioneller und unabhängiger Bund der Antifaschisten in der DDR gegründet. Mit Rudi Pahnke, Pfarrer und zuständig für Jugendarbeit im Bund der Evangelischen Kirchen, sprachen wir über dessen Eindrücke.

Mit welchen Erwartungen sind Sie zum Kongress gekommen und sind diese erfüllt worden?

Ich hatte keine hochgestochenen Erwartungen. von daher bin ich nicht enttäuscht. Zum Komitee der Antifaschisten bestand meinerseits bisher kein Kontakt. Die Organisation war für meine eigene Lebensauffassung, in der Antifaschismus eine Grundbestimmung ist, auch nicht so wichtig. Um ehrlich zu sein. Die in diesem Kreis Zusammengeschlossenen hatten sich mit ihrer eigenen Geschichte, die natürlich ungeheuer wichtig ist, selbst zu sehr abgeschirmt vorn wirklichen Leben, von den Konflikten junger Menschen, mit denen ich Tag für Tag als Jugendpfarrer zu tun hatte und habe.

Mir fehlte in der Plenumsdiskussion eine tiefgründige kritische Auseinandersetzung mit dem bisher praktizierten mumifizierten Antifaschismus in der DDR, der ja gerade auch durch das Komitee mitgetragen wurde . . .

Die Aufarbeitung der Vergangenheit war einfach unzureichend. Das was Antifaschisten wie Erich Honecker und Erich Mielke an moralischem Werteverfall bei Jugendlichen angerichtet haben, wurde einfach nicht thematisiert.

Sie haben in Ihrem Diskussionsbeitrag dagegen polemisiert, Inhalte und Ziele des neugegründeten Bundes der Antifaschisten einzig aus einer Position des Dagegenseins zu bestimmen.

Ich glaube, es reicht reicht nicht aus immer nur zu sagen, wogegen man ist. Man sollte auch das Wofür benennen können, ansonsten bleibt man in der Zelebrierung von Formeln stecken, die niemanden herausfordern. Für das Leben eintreten, für Demokratisierung, für die Gleichberechtigung aller, der Frauen, der Homosexuellen – das sind inhaltliche Bestimmungen, für die ich mich engagieren kann. Für mich ist der Name "Bund der Antifaschisten" einfach zu plakativ.

Ein gefährliches Anwachsen rechtsextremer Tendenzen in Abhängigkeit von einer zunehmenden sozialen Unsicherheit ist derzeit in unserem Land Realität. Hat Antifaschismus in solch einer angstgeschwängerten Atmosphäre da überhaupt eine Chance?

Er hat dann eine Chance, wenn er sich ganz klar auf die Seite einer radikalen Demokratisierung stellt, die Geschichte der SED und des Stalinismus aufarbeitet, für die Internationalisierung und interkulturellen Austausch, für soziale Rechte eintritt, also Lebenshaltungen vermittelt.

In Ihrer Arbeit beschäftigen Sie sich auch mit der Frage: Was wirkt gewaltauslösend bei Jugendlichen?

Ich weiß aus Beobachtungen, Wahrnehmungen, dass unser bisheriges Gesellschaftskonzept Gewalt immer bejahrt hat. Es ist irgendwie für viele normal auch eine richtige Sache mit Gewalt durchzusetzen Das ist so tief verinnerlicht in Kindern, Jugendlichen, Erwachsenen, dass wir jetzt das Ergebnis eines belastenden Erziehungs- und Sozialisationsprozess erleben. Wir haben uns im Grunde vom 17., 18. Jahrhundert mit seiner Stockerziehung innerlich nicht gelöst. Wir müssen lernen, trotz unterschiedlicher Lebenskonzepte miteinander zu leben, ohne uns kaputt zu machen. Und - diesen Gedanken fand ich bei einem Überlebenden von Auschwitz - ich muss in mir möglicherweise selbst auch Gewalttendenzen anerkennen, darf sie nicht verdrängen, sondern muss sie produktiv umsetzen, um nicht gewalttätig zu sein. Wir haben die Last unserer Vergangenheit und unserer Erziehung zu tragen, die zu schnell auf Gewalt setzte, anstatt auf Auflösung von Gewalt und Versöhnung.

Das Gespräch führte Sybille Nitsche

Berliner Allgemeine, Nr. 86, Di. 15.05.1990

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