Dem ökologischen Umbau mehr gebührendes Gewicht

GNU unterbreitet grundsätzliche Standpunkte für eine gesunde Umwelt

Der amtierende Zentralvorstand der Gesellschaft für Natur und Umwelt im Kulturbund der DDR (GNU) hat im Namen der 60 000 Mitglieder die Parteien und demokratischen Bewegungen der DDR aufgefordert, den ökologischen Umbau des gesellschaftlichen Lebens gebührendes politisches Gewicht zu verleihen. "Eingedenk der akuten Gefährdung der natürlichen Existenzgrundlegen halten wir es für erforderlich, deutliche Verfassungsgrundsätze über das Recht jedes Bürgers auf eine gesunde Umwelt und die Pflicht zu umweltverträglichen Verhaltensweisen insbesondere in der materiellen Produktion und der Landnutzung zu schaffen." In einem in Berlin veröffentlichen Aufruf heißt es weiter, dass die GNU eine baldige Überarbeitung und Neufassung gesetzlicher Grundlagen des Umwelt und Naturschutzes, beginnend mit dem Landeskulturgesetz, mit dem Ziel erwarte, ihre Komplexität und Umsetzungskraft zu erhöhen.

Die GNU hält es für dringlich, weiter aus dem Aufruf, dass eine Reihe von ökologischen Problemlösungen umgehend in Angriff genommen werden:

In den Umweltkatastrophengebieten, zu denen wir u. a.

- die Umgebung des Petrolchemischen Kombinates Schwedt,

- das Tal der oberen Elbe (Pirna, Heidenau),

- das Ballungsgebiet Leipzig/Halle/Bitterfeld/Wolfen,

- die schwermetallbelasteten Gebiete um Freital und Freiberg,

- das Osterzgebirge und andere Waldschadengebiete

rechnen, sind grundlegende Sanierungsmaßnahmen einzuleiten. Insbesondere sind dabei die großen Defizite im technischen Umweltschutz abzubauen Bei den Umwelt- und Wirtschaftsvereinbarungen mit der BRD und anderen nichtsozialistischen Partnern muss dem besonderes Gewicht beigemessen werden.

Rationeller Umgang mit Naturressourcen

Die Gesellschaft für Natur und Umwelt fordert, dass mit den Naturressourcen unseres Landes sparsam und rationell im eigentlichen Sinne des Wortes umgegangen wird. Dazu gehören: Ablösung der bisherigen Subventionspolitik, soweit mit dieser die Verschwendung von Energie, Rohstoffen, Wasser und Lebensmitteln Vorschub geleistet wird. Alle diese Güter sind nach ihrem tatsächlichen Wert zu berechnen. Sozial Schwächeren sind durch angepasste staatliche Maßnahmen Härten zu ersparen.

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Der unvernünftig hohe Anteil fossiler Energieträger ist zugunsten umweltschonender Energieformen zu verringern, wofür eine langfristig orientierte Energiekonzeption auszuarbeiten ist. Zugleich ist die Energieausnutzung durch Modernisierung veralteter Anlagen zu vergrößern. Durch sparsameren Verbrauch von Energie bei dem unser Land pro Kopf der Bevölkerung nach Kanada die Weltspitze hält, sind weitere Reserven zu erschließen. Die bisher relativ extensive Nutzungsweise der Bodenschätze ist zu verändern, vor allem ist der rasante Abbau von Braunkohle mit allen sich daraus ergebenden Problemen zu prüfen.

Dem Schutz des Bodens größere Aufmerksamkeit

Dem Bodenschutz ist größere Aufmerksamkeit zu schenken. Das betrifft den jährlich unvertretbar hohen Entzug von landwirtschaftlichen Nutzflächen und ökologisch wertvollen Naturflächen für Bauvorhaben, aber auch die extensive und unkontrollierte Zersiedelung der Landwirtschaft, z. B. durch falsche Standortwahl von Kleingartenanlagen, Wochenendsiedlungen, Campingplätzen u. ä. Eine flächenintensive und komplexe Entwicklung des Siedlungs- und Verkehrswesens ist gefordert. Der Boden ist konsequenter als bisher vor schädigenden Einflüssen zu schützen. Der Wasserschutz und die Wasserhygiene sind vorrangig zu lösende Aufgaben. Abwasserreinigung und -nutzung, der Einsatz von Dünge- und Pflanzenschutzmitteln, die Produktion und der Gebrauch von Haushaltchemie müssen kurzfristig umweltverträglich umgestellt werden. Hydromeliorationen müssen sich in komplexe landschaftsökologische Zielstellungen einordnen.

Der ökonomischen Planung ist prinzipiell eine ökologische Planung, eine Bewertung aller volkswirtschaftlichen Entscheidungen durch Nachweis der Umweltverträglichkeit zugrunde zu legen.

Der kritische Zustand der städtischen Lebenswelt erfordert in neues Herangehen an die Stadt-und Verkehrsgestaltung, bis hin zu ökologischen Bauweisen und Meistbegünstigung umweltverträglicher alternativer Verkehrslösungen, z. B. des Radverkehrs. Einschlägige Forschungsprojekte besonders bei der Bauakademie, sind entsprechend zu fördern.

Alle Produktionsbetriebe in Industrie und Landwirtschaft müssen bei Androhung ihrer Schließung zur Einhaltung umweltverträglicher Grenzwerte gezwungen werden. Unter ökologischen aber besonders unter volkswirtschaftlichen Gesichtspunkten sollten überdimensionierte und schwer dirigierbare Wirtschaftseinheiten dezentralisiert werden.

Jeder Verursacher von Umweltschäden muss für diese aufkommen. In naher Zukunft muss vom Verursacherprinzip zum Vorsorge Prinzip übergegangen werden, weil Umweltschäden vor allem solche die irreversibel sind, von vornherein vermieden werden müssen, zumal ein Verursacher nachträglich oft gar nicht mehr eindeutig nachweisbar ist. Vorsorgender Umweltschutz macht eine fundierte Umweltverträglichkeitsprüfung für Bauvorhaben, Verfahren und Produkte erforderlich. Hierfür sind rasch geeignete Grundlagen und Methoden zu erarbeiten. Die noch dominierende Ideologie der nachträglichen Wiedergutmachung von Umweltschäden muss durch Verwirklichung des präventiven Naturschutzes abgelöst werden. Zu gewahren ist auch, dass bei künftigen ausländischen Investitionsmaßnahmen in der DDR, insbesondere solche aus dem Bereich der Europäischen Gemeinschaft (EG) die Umweltverträglichkeitsnormative der EG zugrunde gelegt werden, soweit diese nicht unter gültigen Normativen der DDR liegen. Die DDR darf nicht zum Ausweichstandort für umweltschädigende Produktionen kapitalistischer Staaten werden.

Flächendeckende Landschaftsplanung

Die GNU fordert eine flächendeckende Landschaftsplanung als verbindliche Grundlage für die künftige Planung der gesamten Landnutzung und einer zielgerichteten Landschaftspflege um vorhandene Landschaftspotentiale zu erhalten, sinnvoller zu nutzen und/oder zu verbessern. Standortentscheidungen sind unter Beachtung der Mehrfachnutzung und der Wertigkeit einer Landschaft im Naturhaushalt verantwortungsbewusster zu treffen. Das trifft auch für bedenkenlose Parzellierung von naturnahen Rückzugsgebieten für Flora und Fauna und von Vorzugslandschaften zu Kleingartenanlagen Wochenendsiedlungen a. ä. zu, deren Einstellung gefordert wird.

Die bisherige Land- und Forstwirtschaftspolitik ist zu überprüfen. Sie darf nicht weiterhin von der Ökonomie des Tages bestimmt werden sondern muss vorn Streben um Nachhaltigkeit in volkswirtschaftlichem Sinne und ökologischer Stabilität getragen sein.

Es ist zu fordern, dass alle ehemaligen Landschafts- und Waldgebiete mit "Sonderrechten" (Staatsjagden u. a.) der gesellschaftlichen Nutzung zurückgegeben und bei wertvoller Naturausstattung den Status eines Naturschutzgebietes, Nationalparks o. ä. erhalten oder Biosphärenreservaten zugeordnet werden.

Verwendungszweck gründlich prüfen

Ebenso sind die Naturschutzbelange in bisherigen Grenzsperrgebieten, Militärforsten und anderen Territorien mit "Sonderrechten" zu gewährleisten, um die hier vorhandenen ökologisch wertvollen Refugien für Flora und Fauna zu erhalten.

Die GNU fordert die Einsetzung einer Kommission die die bisherigen Sondergebiete einschließlich der Grenzsperrgebiete zunächst "konserviert" und nach Prüfung - vor allem unter ökologischen Aspekten - über ihren Verwendungszweck entscheidet.

Als Geste der politischen Verantwortung für Friedenssicherung und Umwelterhaltung sollte von beiden deutschen Staaten wenigstens ein Militärgebiet (Truppenübungsgelände o. ä.) in ein Naturschutzgebiet umfunktioniert werden.

Die GNU fordert im Interesse der Abwendung der ökologischen Krise in der DDR und zur Gewährleistung der Volksgesundheit, dass materielle, finanzielle und personelle Verbesserungen für Natur- und Umweltschutz realisiert werden, insbesondere aus Fonds, die künftig durch Reduzierung der Landesverteidigung und der Zuwendungen für einen aufgeblähten Partei- und Verwaltungsapparat, für Staatssicherheit, Zivilverteidigung aber auch für Leistungssport verfügbar werden. Wir treten für die Bildung eines Öko-Umwelt-Fonds ein, unter ständiger Nutzung der Gewinne einer staatlichen Wettspielart und anderer Finanzierungsquellen. Im zivilen Ersatzdienst sollten Wehrpflichtige auf eigenen Wunsch für territorial oder objektbezogene Leistungen herangezogen werden können.

Unabhängige, komplexe Überwachung der Umwelt

Es ist eine unabhängige, nur der Volkskammer und der Öffentlichkeit rechenschaftspflichtige Umwelt-und-Naturschutz-Inspektion zur komplexen Überwachung der Umwelt zu schaffen. Darüber hinaus fordern wir die Bildung eines unabhängigen Ökologie Institutes.

Ferner halten wir generell eine Verstärkung der Erarbeitung wissenschaftlicher Grundlagen für den Naturschutz und die Landschaftsökologie und deren staatliche Unterstützung für notwendig. Ökologie und Umweltschutz müssen fester Bestandteil der gesamten Volksbildung, der Berufsausbildung, des Hochschulwesens und der Erwachsenenqualifizierung werden. Das Fachgebiet Landschaftsökologie/Landschaftspflege sollte an allen Hochschulen etabliert werden.

Die GNU erwartet die vollständige Offenlegung aller Umweltprobleme durch die zuständigen Stellen. Dazu reicht die Bekanntgabe ausgewählter Umweltdaten nicht aus. Alle Daten und Fakten zum Zustand der Umwelt müssen sachkundig und besonders auch aus medizinischer Sicht erläutert werden. Bisherige Beschönigungen müssen durchweg realistischer Darstellungen weichen.

Die GNU erwartet eine deutliche stärkere Unterstützung aller ökologischen Innovationen und Initiativen.

Bauern-Echo, Sa. 06.01.1990

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