Gedanken zu rechts und links außen

"Das Bild vom Nazi bei jungen Antifaschisten" überschrieb der Autor Rudi Pahnke nachfolgendes Denkangebot

Im Prenzlauer Berg sind mir an die Wände gesprayte Losungen aufgefallen: Hier beginnt die nazifreie Zone! Nazis raus! Nazi, wir kriegen dich! Nazi verrede, Glatze krepiere! Fascho kratz ab! Nazischweine . . .

Sich antifaschistisch verstehende Jugendliche haben ihren Feind gefunden: den Fascho, den Nazi, den Skin. Auf Antifa-Flugblättern begegnet uns eine Darstellung, wo eine kräftige, aggressive Faust ein Hakenkreuz zerschmettert. Junge Leute, die sich zur Antifa-Szene rechnen, können davon berichten, dass sie von Skins, von Faschos angegriffen, verprügelt werden, in Schlägereien geraten sind. Es gibt schlimme Gewalttätigkeiten, erschreckende Brutalität. Das sind Tatsachen, die man sehr ernst nehmen muss!

Es ist für mich keine Frage, kann keine Frage sein, dass der Faschismus etwas sehr Bedrohliches ist, dass wir uns sehr ernsthaft mit Rechtsradikalismus auseinanderzusetzen haben - aber die Parolen der Antifa-Bewegungen helfen nicht und lösen nicht das Problem. Es ist eine unbestreitbare Tatsache, dass jeder Mensch, der über einen anderen spricht, allerlei damit über sich selbst aussagt. Die Vernichtungswünsche "Fascho kratz ab/Nazi verrecke/Glatze krepiere" signalisieren eine tiefe Angst vor dem Überwältigten werden durch einen übermächtigen, unbewältigbaren Feind, der keine Schonung und Gnade kennt.

Der Faschismus ist nicht überwunden; verordneter Antifaschismus hat die Probleme nicht gelöst.

Deutlich ist, dass derjenige, der so spricht "Kratz ab, verrede", die Nichtexistenz des anderen wünscht. Man befürchtet die Vernichtung durch den anderen und wünscht ihn, selbst auch den Tod. Mit ihm will und kann man nicht umgehen, diskutieren, streiten, sich verständigen, sich unterhalten; ihn kann man nur weg wünschen, weg hassen.

Wenn an den Wänden steht: "Nazischweine/Nazifreie Zone" wird daran deutlich, wie tief die Angst reicht - der Hass und die Ablehnung. Nazifreie Zone - das heißt: Mittels der Projektion ist man selbst in ein faschistisches Fühlen und Denken hineingeraten. Die Projektion wirkt zurück. Der Vernichtungswunsch der Feinde zeigt die sozial-psychische Nähe der sich feindlich gegenüberstehenden Jugendlichen auf: nazifrei/judenfrei.

Jugendliche sind Spiegelbild gesellschaftlicher Prozesse

Die Realität - im Gegensatz zu den Projektionen - ist, dass die sich rechtsradikal artikulierenden Jugendlichen zunächst ja keine Nazis sind, sondern Schüler, Lehrlinge, junge Facharbeiter unserer Gesellschaft - unsere Kinder. Sie sind normaler, als viele es wahrhaben walten; sie sind auch gefährlich normal. Sie sind ein Spiegelbild für viele Erscheinungen der Gesellschaft, der Welt der Erwachsenen. Die Realität ist, dass uns mit den Faschos und Skins Jugendliche begegnen, die hier lernten, die Jungpioniere waren, die eintraten in die FDJ, die beim Fahnenappell stillstanden, die die Jugendweihe über sich ergehen ließen, deren Eltern arbeiteten oder sich überarbeiteten, die von ihren Eltern zu Anpassung genötigt wurden, die in zwei Weiten lebten - zwischen Fernsehen West und Leben Ost. Sie sind normal in ihre, Fremdenablehnung, mit ihrem Bewusstsein, wertvoller zu sein und Bedeutendem, zu können, als sie im Augenblick zu zeigen imstande sind.

"Fascho kratz ob, Nazi raus" - der Fascho, der Skin sind nicht okay, ich bin okay. Ich bin richtig, du sollst verwinden.

Eine solche Lebensauffassung ist gefährlich. Sie kommt aus einer tiefen Kränkung und gleichzeitig aus einer leidenschaftlichen Selbstbehauptung. Ich wünsche dem anderen den Tod, weil Ich mich selbst hasse, nicht selbst bejahe. Im Gegensatz zu der mich klein machenden, demütigenden Lebenserfahrung behaupte ich, dass ich okay bin. Ich bin okay, du bist nicht okay. Sich gegenseitig klein machen, das ist sozialpsychologisch eine Verhaltensweise von Menschen, denen andere Menschen beigebracht haben, dass ihr Leben nichts wert sei.

Mir scheint, dass die junge Generation, die durch Krippenerziehung, Schule, Pionierorganisation gegangen ist, die genötigt wurde zur Anpassung, in ihrem Lebensgefühl zutiefst verletzt ist. Sie schlagen andere und meinen sich - und eigentlich die Eltern, Lehrer, die Gesellschaft.

Menschen, die von ihrer Kindheit an verletzt, gedemütigt, klein gemacht wurden, werden gezwungen sein, andere klein zu machen, solange nicht deutlich in ihnen die Lebensauffassung entstehen kann, dass ihr Leben etwas gilt - und dass sie akzeptiert sind, dass es eine Geborgenheit für ihr Leben gibt. Es muss der jungen Generation ermöglicht werden, ihre Demütigung zu bearbeiten, die Mechanismen zu durchschauen, ihre Konflikte mit der Erzieher-, Eltern-, Funktionärsgeneration zu bearbeiten.

Die jungen Skins, Faschos und radikalen Antifaschisten agieren meines Erachtens in ganz demselben Schema. "Ich bin okay, du bist nicht okay." Ihre Lebensauffassung ist ein verletzender Angriff auf die Lebensauffassung der anderen und kommt aus der sie demütigenden Lebenserfahrung. Wenn er nicht gelingt, diese Kreisläufe zu bearbeiten und zu überwinden, dann stehen wir unter Umständen in kürzerer oder längerer Zeit vor schwersten Auseinandersetzungen.

Die verdrängten Gewalttendenzen in unserer Gesellschaft kommen dazu.

In der Gesellschaft, aus der wir herkommen, war das Misstrauen allgegenwärtig, gegen die Erwachsenen, die Älteren und die Jugendlichen. Der MfS-Staat hinterlässt sozialpsychologische Narben, tiefe Wunden sind noch nicht einmal erkannt. Die Jugendlichen waren für die SED die Hoffnungsträger - hier sollte nun endlich ein Neues beginnen. Von daher definierte die bisherige Politik die FDJ als Kampfreserve der SED. Die realisierte Jugendpolitik war eine konkrete Ausgestaltung dieser Grundsätze, Ein hohes Maß an Zuwendungen widerfuhr den Kindern und der Jugend zu dem Zwecke, mit dieser neuen Generation die neue Gesellschaft zu bauen. Dies musste mit folgenreichen Enttäuschungen enden - spiralförmig wiederholten sich die Enttäuschungen über die junge Generation. Die jungen Generationen haben die Doppelbödigkeit der Moral durchschaut - und sofort begann das Misstrauen und die argwöhnische Bespitzelung und Ausgrenzung von jungen Menschen. Hier eskalierte die Entwicklung: Die Einflussnahme gegenüber der jungen Generation wurde hilfloser, manipulierender, illusorischer. Aus dem Rahmen fallende Jugendliche wurden mit harten Sanktionen bedacht.

Die Systemkrise des DDR-Sozialismus findet ihren Niederschlag, ihren sichtbaren Ausdruck in der Radikalisierung junger Leute. Man konnte den sich antifaschistisch artikulierenden Staat am tiefsten, leichtesten, wirkungsvollsten treffen durch rechtsradikale Artikulation.

Mit Parolen kommen wir nicht weiter voran

In den Parolen einiger junger Antifaschisten und der Auffassung von Skins und Faschos kommt eine bemerkenswerte gemeinsame Unfähigkeit zur Toleranz und zur Pluralität zum Ausdruck. Zwar ist die Parallelisierung von Faschismus und Stalinismus unter den Begriff des Totalitarismus problematisch, aber es ist doch deutlich, dass es hier Zusammenhänge gibt. Die eigene Auffassung, die einer mächtigen Partei nachgesprochen wird, wird als die einzig mögliche Anschauung verstanden. Wir haben das alle im Bildungswesen, in der Schule, an Universitäten, durch Funktionäre und Parteien, in den Medien und in der persönlichen Konfrontation erlebt. Die Vielfältigkeit, Vielgestaltigkeit des Lebens wird nicht zugelassen.

Diese sich in der Parolen aussprechenden Auflassungen, diese Lebensanschauungen lassen einer anderen Auffassung keine Chance. Da wird die Welt rein: chemisch rein / judenrein / nazirein. Die Übertragungen von physikalischem und chemischem Bemühen um Reinheit auf das Zusammenleben von Menschen, auf die Gesellschaft erweisen sich als verhängnisvoll. Was im chemischen Bereich notwendig ist, ist im sozialen und geistigen Bereich tödlich. Da muss es den Streit, die Kultur des Streites und die Pluralität geben; das Ringen um die gerechtere Form und Gestalt des Lebens.

Jugendliche Rechtsradikale und radikale junge Antifaschisten agieren in demselben Schema. Sie sprechen dem anderen jeweils seine Existenz ob und bestätigen sich gerade so gegenseitig.

Den jungen Antifaschisten gehört unsere Sympathie

Natürlich haben die jungen Antifaschisten meine Sympathie in ihrem Engagement gegen den Faschismus, aber sie zeigen uns genau mit ihren Parolen, dass so dem Problem nicht beizukommen ist, dass so eine humane Gesellschaft nicht entstehen wird.

Die jungen Antifaschisten verdienen unsere Solidarität, aber gerade deshalb auch unsere Kritik. Wir sollten sie mit kritischen Rückfragen und Weiterführungen würdigen. Es fällt auf, dass die jungen Antifaschisten - genauso wie der bisherige Antifaschismus - keine Lösungen und Antworten lieferten auf diese Fragen:

Wie können junge Leute mit ihrer Verunsicherung, ihrer Existenzkrise umgehen, die in ihren rechtsradikalen, nationalistischen Phrasen zum Ausdruck kommen, zum Beispiel in "Ich bin stolz, ein Deutscher zu sein"?

Wie können junge Leute ihre Verunsicherung überwinden, die Ausländer, Homosexuelle, Andersdenkende, Andersglaubende in ihnen auslösen?

Mit ihren Fragen und mit ihrer Existenz werfen die jungen Rechtsradikalen Fragen auf, denen wir uns stellen müssen, wenn wir nicht hineinkommen wollen in eine Spirale von Gewalt, gegenseitiger Diffamierung, Radikalisierung, terroristischen Auseinandersetzungen, die den friedlichen Umwandlungsprozess der Gesellschaft bedrohen.

Von ihren besonderen Voraussetzungen her sind alle antifaschistisch eingestellten Menschen - alle diejenigen, die den Faschismus aufgrund der Einsicht in die historischen Tatsachen als verhängnisvoll betrachten - gerufen, alles zu tun, um die Wurzeln links, und rechtsradikaler Tendenzen zu erkennen und an ihrer Beseitigung mitzuwirken.

Ziel ist eine humane Gesellschaft für alle

Dabei geht es auf unserer Seite um den Abbau von Berührungsängsten und um mutige Schritte zum Dialog und zur Begegnung mit diesen jungen Leuten. Nur in der Begegnung kann das rechtsradikale Symptom/Syndrom bei Jugendlichen bearbeitet werden. Vorrangig und wichtig ist es, dass wir uns selbst nicht auf Erscheinungsbilder fixieren, sondern den Menschen sehen - seine Geschichte, seine Probleme, die Gründe und Hintergründe seines Verhaltens. Von einer solchen Sicht aus wird man dann zu der Entwicklung und Gestaltung verschiedener Angebote für Jugendliche kommen, durch die sie ihre Fixierungen langfristig bearbeiten und auflösen können - mit dem Ziel den selbstverantwortlich-mündigen Humanität.

Pfarrer Rudi Pahnke (Jg. 1943) leitet die Kommission für Jugendarbeit der Ev. Kirchen der DDR, der zentralen Koordinierungsstelle für etwa 800 ehrenamtliche und hauptberufliche kirchliche Jugendarbeiter. Er befasst sich mit dem Thema Rechtsextremismus unter Jugendlichen schon seit Jahren

Junge Welt, Nr. 115, Fr. 18.05.1990

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