Gespräch mit Dan Malina vom Runden Tisch
Sorben in Aufbruchstimmung
Als der Sorbe am Zentralen Runden Tisch sind Sie in den letzten Wochen durch die Medienberichterstattung. Allerdings weiß man wenig Persönliches von Ihnen.
Als evangelischer Pfarrer wirke ich seit 1983 in der Gemeinde Gröditz bei Bautzen. Ich bin 33, verheiratet und habe 5 Kinder. Meine Frau ist Ärztin, betreut aber gegenwärtig hauptsächlich unseren Nachwuchs und betätigt sich - so es die Zeit erlaubt - als sorbische Schriftstellerin.
Wurde den Sorben der Platz am Zentralen Runden Tisch angeboten oder musste erkämpft werden?
Unsere Teilnahme ist Ergebnis des eigenen sorbischen Runden Tisches, der sich Ende 1989 gebildet hat, um auch der nationalen Minderheit ein übergreifendes Organ für diese gesellschaftliche Übergangszeit bis zum Außerordentlichen Kongress der DOMOWINA am 17. März in Bautzen zu schaffen. Auf unseren Antrag Ende Dezember wurde uns ein Gaststatus am Zentralen Tisch mit Rede-, aber ohne Abstimmungsrecht eingeräumt.
In den letzten Wochen war von Ängsten der Sorben zu hören, Ihre Rechte und Interessen könnten im gesellschaftlichen Umbruch, vernachlässigt werden. Wie real sind diese Ängste?
Meiner Meinung nach ist schon seit 5 Jahrzehnten ein Rückgang der sorbischen Bevölkerung und ihrer Identität zu beobachten. Kulturell wurden wir allerdings von der ehemaligen SED stark gefördert. Aber eben auch ideologisch vereinnahmt. Das hielt viele Sorben, die meist stark christlich gebunden sind, vom Engagement für sorbische Traditionen ab.
In offiziellen Dokumenten und Reiseführern wurde seit Jahrzehnten immer eine Zahl von 100 000 Sorben angegeben! Beim Gespräch des 1. Sekretärs des Bundesvorstandes der Jurij Gros mit Hans Modrow war nur noch von 80 000 die Rede . . .
. . . und ich glaube, dass selbst diese Zahl noch zu hoch ist. 1956 gab es die letzte Zählung. Sage und schreibe erst Anfang 1990 wurden deren Ergebnisse veröffentlicht. Die Unterlagen ruhten im Tresor der DOMOWINA. Es bestand wohl Angst, dass man bei einer Bekanntgabe des zahlenmäßigen Rückganges an gesellschaftlicher Gewichtigkeit und damit Förderungswürdigkeit verlieren könnte. Nach dem, was mir zugänglich ist, kann man von etwa 60 000 Sorben ausgehen. Ein Viertel davon ist katholisch. Die Mehrheit aber evangelisch, und eine Minderheit nicht konfessionell gebunden.
Welche Wünsche, Hoffnungen und Erwartungen haben die Sorben in unserer neuen Gesellschaft?
Auch in der neuen Verfassung müssen unsere Rechte fixiert sein. Darüber hinaus plädieren wir für ein neues Nationalitätengesetz, um den Verfassungsgrundsatz - der ja auch in der derzeit gültigen enthalten ist - durch ein präzisierendes Gesetz abzusichern. Wir wünschen uns, in der neuen Volkskammer mit 2 Vertretern präsent zu sein. Angesichts der gerade bei uns im Sächsischen heiß diskutierten Rückbesinnung auf die Länderstrukturen, liegt es uns sehr am Herzen, dass die Sorben möglichst in einem Land wohnen. Unser konkreter Vorschlag: Angliederung der Niederlausitzer Gebiete des Bezirkes Cottbus an das in Bildung befindliche Land Sachsen.
Ist das denn auch aus nationaler Sicht begründbar?
Zunächst gibt es enge historische und kulturelle Beziehungen. Andererseits ist diese Variante auch wirtschaftlich vorteilhaft, würden doch so die großen Bergbaugebiete im nördlichen Dresden und südlichen Cottbus wieder zu einer Einheit werden.
Nun soll am Vorabend der Wahl der Außerordentliche Kongress der DOMOWINA stattfinden. Was ist von ihm zu erwarten?
Die weit über 500 gewählten Delegierten und vermutlich weitere etwa 60 Vertreter außerhalb der DOMOWINA wirkender Organisationen und anderer Verbindungen wollen die bereits vorliegende und diskutierte neue Satzung beschließen. Die alte Bindung der DOMOWINA an die ehemalige SED soll aufgehoben und die DOMOWINA zur parteienunabhängigen Vertreterin wirklich aller Sorben werden. Auch eine neue Leitung wird gewählt, für die ich mitkandidiere.
Das Gespräch führte Dr. TOMAS KITTAN
aus: Neues Deutschland, 45. Jahrgang, Ausgabe 53, 08.03.1990, Sozialistische Tageszeitung, Zeitung der Partei des Demokratischen Sozialismus. Die Redaktion wurde 1956 und 1986 mit dem Karl-Marx-Orden und 1971 mit dem Vaterländischen Verdienstorden in Gold ausgezeichnet.