Im Gespräch: CHRISTINA SCHENK, Unabhängiger Frauenverband, gewählt zum Mitglied des Deutschen Bundestages, vor ihrer Abreise nach Bonn

Einhandeln werd' ich mir manchen Ordnungsruf

Es soll fröhlich zugegangen sein am 3. Dezember 1989 in der Berliner Volksbühne. Das Mikrofon stand unter einer Leine mit Wäsche. Man sprach miteinander - offen, frisch, sachlich, phantasievoll, witzig, klug, polemisch. Kinder und Männer waren im Saal zugelassen. "Wer sich nicht wehrt, kommt an den Herd." So der Sinnspruch der Veranstaltung. Ironisch die Sentenz: 1. Männer sind klüger als Frauen. 2. die Erde ist eine Scheibe.

Mehr als tausend Frauen und Mädchen waren gekommen zur Geburt eines unabhängigen Frauenverbandes. Eine von ihnen, die heute 38jährige Physikerin Christina Schenk, ist unterdessen MdB-Mitglied des Bundestages. Die Abgeordnete, die für das Bündnis 90/Grüne ins Hohe Haus einzog, beantwortete uns vor ihrer gestrigen Abreise nach Bonn einige Fragen.

Was kommt Ihnen in den Sinn, wenn Sie an den vorjährigen Dezember-Anfang denken?

Die weltanschauliche Breite fällt mir ein. Es waren Frauen aus sehr unterschiedlichen Gruppen da, die ganz selbstverständlich und nachdrücklich Gestaltungsmöglichkeiten eingefordert haben. Ich habe uns in einer Revolution geglaubt. Mir ging es um eine Alternative zu dem, was im Land und weiter westwärts bestand. Darauf freuten sich viele.

Die meisten haben sich als links verstanden. Damit ist allerdings der Ansatz, einen Frauenzusammenhang über alle Grenzen hinweg in einem Verband zu organisieren, nicht gelungen. Im UFV sind keine Frauen aus dem konservativen oder liberalen Spektrum.

Sie sagen das mit Bedauern?

Schon, aber wir hingen damals Illusionen an. Jetzt suchen wir das Gespräch und die Zusammenarbeit am frauenpolitischen runden Tisch. Und mich hat überrascht, wie einfach sich dort Konsens herstellt. Gewiss hängt das zusammen mit der Ähnlichkeit der Situation von Frauen, ihrer Zweitrangigkeit und Unterordnung in der Gesellschaft. Einig sind sie sich, wenn es um das Recht auf Arbeit geht, um Betreuung der Kinder. Auch beim Paragraph 218. Mit den Ost-CDU-Frauen ist zumindest ein Gespräch möglich.

Wird sich im Bundestag eine Mehrheit zur Abschaffung oder Veränderung dieses Paragraphen finden?

Ich weiß es nicht, habe aber Zweifel. Man kann mit dem Frauenbündnis im Bundestag sicher reden, auch Gesetze entwerfen, selbst einige CDU-Frauen sind gegen Strafe bei Abtreibung. Aber wenn es zu einer Abstimmung kommt, gilt sehr wahrscheinlich ein Fraktionszwang. Daran zerbricht die Idee des fraktionsübergreifenden Zusammengehens.

Apropos - das Bündnis 90/Grüne hat Fraktionsstatus beantragt . . .

Wir argumentieren da ähnlich wie die PDS - wenn wir schon die Fünf-Prozent-Hürde in getrennten Wahlgebieten übersprungen haben, müssen uns auch gleiche Chancen eingeräumt werden.

Es hat wiederholt Querelen zwischen dem UFV und dem Bündnis 90/Grüne gegeben. Gehören sie der Vergangenheit an?

Nein. Die Gruppierung heißt eben nicht Bündnis 90/Grüne/UFV. Ich habe versucht, diese Erweiterung nach dem Berliner Vorbild zu diskutieren . . .

Es ist von Frauenfeindlichkeit die Rede.

Frauenpolitische Aspekte 'reinzubringen fällt wirklich schwer, denn auch die Bürgerinnenbewegungen sind männlich dominiert. Es gibt jetzt das Bestreben, sie zusammenzulegen, in einem Bürgerforum etwa. Daran wird sich der UFV nach dem bisherigen Stand der Diskussion nicht beteiligen. Wir haben uns nicht gegründet, um uns in männerdominierte Strukturen zu begeben. Dann hätten wir uns ja gleich als Frauenarbeitsgemeinschaften in den Parteien formieren können. Natürlich sind wir sehr an sachbezogener Zusammenarbeit interessiert, an Aktionen - wo immer es geht.

Die alte Frage, ob UFV oder Arbeitsgruppen, steht also noch immer?

Ein großer Teil der Frauen hat sich bereits im letzten Dezember für eine eigenständige politische Vereinigung entschieden. Einmischung auf allen Ebenen war und ist die Devise.

Wofür will sich nun die Abgeordnete Schenk im Bundestag einsetzen?

Meine Themen sind Gleichstellungs- und Lebensformenpolitik. Die „Frauenfrage" ist nicht primär ein soziales Problem, sondern vielmehr eine Frage nach dem Maß an tatsächlich realisierter Demokratie. Es geht um den Einfluss von Frauen auf die Gestaltung gesellschaftlicher Prozesse. Bei der sogenannten Frauenfrage handelt es sich in Wahrheit um eine Männer- und Frauensache. Einflussgewinn von Frauen ist Einflussverlust von Männern!

Zugleich geht es mir um rechtliche Gleichstellung aller Lebensformen, die niemandes Selbstbestimmungsrecht verletzen. In der BRD wird die Ehe herausgehoben und gefördert, wie das in der DDR nicht der Fall war. Alternativen werden ungleich negativer bewertet. Natürlich wurden in der DDR die Ehe und das Kinderkriegen belohnt, aber es gab eben kein Ehegattensplitting, bei dem ein Paar erhebliche Steuervorteile hat, wenn die Frau nicht berufstätig ist. Derartige Beispiele gibt es zuhauf im westdeutschen Recht.

Was sollte denn Ihrer Auffassung nach belohnt werden?

Ach, Belohnung - ich möchte nur, dass es nicht mit besonderen Privilegien verbunden ist, verheiratet zu sein. Man sollte es doch jedem Menschen überlassen, mit wem er lebt und mit wie vielen. Besonderen Schutz verdienen allem die Beziehungen von Erziehenden, das darf aber nicht an Familienstand gekoppelt sein.

Man muss konsequent zum Individualitätsprinzip kommen. Denken Sie auch daran, welche Nachteile homosexuelle Paare haben. Sie haben kein Recht, von Ärzten Auskunft über den Partner zu erhalten, kein Recht, die Aussage zu verweigern, wenn ihr Partner angeklagt ist, sie haben kein Recht bei der Wohnungsvergabe. Die Aufzählung ließe sich fortsetzen.

Sie selbst leben lesbisch?

Ich bin jetzt praktisch die einzige offen lesbisch lebende Frau im Bundestag. Aber schon die Erwähnung von "lesbisch" oder "schwul" ist dort nicht gestattet. Da werd' ich mir wohl so manchen Ordnungsruf einhandeln. Jutta Oesterle-Schwerin von den Grünen hat das ausprobiert. Vielleicht nehme ich so eine Art Quäke mit, wie sie bei "Dingsda" funktioniert: "Die äääh Identität der äääh Frauen in äääh Partnerschaften . . ."

Zumindest wäre damit der Vorwurf vom Tisch, die aus den neuen Bundesländern hätten vom Tuten und Blasen keine Ahnung. Welcher drängenden Alltagsprobleme wollen Sie nun besonders annehmen?

Wir sprechen doch die ganze Zeit darüber. Aber es stimmt schon, dass es wahnsinnig viele Probleme gibt. Die CDU-Politik ist, gemessen daran, wie die Vereinigung vollzogen wurde, sozial verantwortungslos. Da ist erstens die Frauenarbeitslosigkeit. Schon kommt die Ideologie daher, der Arbeitsmarkt der DDR sei verzerrt gewesen, eine so hohe Rate von erwerbstätigen Frauen sei "anormal". Wenn die Frau am Herd alles sauber und ordentlich erledigt hat, kann sie ein Stündchen arbeiten gehen . . .

Das hat mit unseren Vorstellungen von den Freiräumen der Frauen rein gar nichts zu tun. Man muss bei den wirtschaftsfördernden Maßnahmen sehr darauf achten, dass sie an Frauenförderung gekoppelt sind. Bei der Zusammensetzung des Parlaments habe ich allerdings Angst, dass es beim Einfordern bleibt. Im Gange ist ein ganz bewusster Prozess der DDR-Zerstörung. Jede Erinnerung an eine mögliche Alternative zum Kapitalismus soll erstickt werden.

Zweitens geht es um Kindereinrichtungen. Dass sie noch bis Juni vom Bund finanziert werden, wird als Erfolg gefeiert. Aber anzunehmen, dass die Kommunen danach finanziell in der Lage sein werden, Kindergärten zu tragen, ist lächerlich. Gibt es aber dieses Netz nicht mehr, müssen Frauen zu Hause bleiben.

Nun gibt es doch auch Verbesserungen, der Erziehungsurlaub wird künftig 18 Monate dauern.

Gut, aber 600 Mark monatlich, wer soll damit auskommen? Realistisch wäre es, für diese Zeit ein BRD-Durchschnittsgehalt zu zahlen, also rund 3 000 Mark. Dann können wir auch über Modelle diskutieren, ob man nicht einen Teil des Geldes wieder entzieht, wenn sich Väter an der Erziehung nicht beteiligen. Es sollte kein Zwang sein, aber sich empfindlich bemerkbar machen.

Glauben Sie denn, es hat Zweck, mit derlei Forderungen in den Bundestag zu gehen?

Ich habe lange überlegt, ob ich kandidiere. Den Ausschlag gab, dass ich dachte, da sind noch ein paar grüne Feministinnen. Andere aus unserer Gruppierung haben schon erklärt, sie sind nur sich selbst und ihrem Gewissen verantwortlich. Na, das ist ja das mindeste, dass man nicht gewissenlos entscheidet. Wenn sich aber etwas mit den Intentionen meiner Organisation nicht vereinbaren lässt, dann ohne mich.

Können Sie sich auch eine Zusammenarbeit mit PDS-Abgeordneten vorstellen?

Ich werde sie mit den PDS-Frauen sogar suchen. Wenn Ursula Männle (CSU) der Meinung ist, dass das Erziehungsgeld erhöht werden muss, kann ich mit ihr in diesem Punkt auch. Mit den PDS-Frauen lässt sich möglicherweise sogar häufiger Konsens herstellen.

Wo liegen denn die Punkte inhaltlicher Abgrenzung gegenüber der PDS-Frauenpolitik?

Die Abgrenzung ist kaum inhaltlich zu begründen. Erneuerung der Partei hat zwar an der Spitze, aber nicht in der Breite stattgefunden. Ich habe außerdem den Eindruck, dass sich die PDS für den frauenpolitischen Teil ihres Programms bei allen möglichen Vereinigungen bedient hat. Zugleich fällt es der Arbeitsgruppe LISA schwer, sich Gehör zu verschaffen. In der PDS ist noch nicht begriffen worden, dass die „Frauenfrage" kein extra Thema ist, sondern alles durchdringt.

Aus Arbeiterinnen und Angestellten der ehemaligen DDR werden gezwungenermaßen immer mehr Hausfrauen. Es stellen sich schnell Altbundesländer-Verhältnisse ein, wo nur jede zweite Frau berufstätig ist . . .

Ehe wir die alten Verhältnisse haben werden, vergehen Jahrzehnte. 50 Prozent Hausfrauen heißt nicht, dass es 50 Prozent auch okey finden, Hausfrau zu sein. Von diesem Zustand sind wir weit, weit entfernt. In Gesprächen mit ...zig Frauen hatte ich das Gefühl, dass Berufstätigkeit für sie unverzichtbar ist, Arbeitslosigkeit hingegen ein Verlust an Lebensqualität. Viele werden die verordnete Zuwendung zu Mann und Kind als Ausgleich nicht akzeptieren. Lebensziel Hausfrau werden wir hier noch lange nicht haben.

Ist da nicht der Wunsch die Mutter des Gedanken? Wenn man den Medien glaubt, findet ein rascher Wertewandel statt.

Er soll stattfinden. Sehen Sie sich den Wandel der "Für Dich" an. Die Frau, die es hier in übergroßer Mehrheit gibt, hat jetzt keine Zeitschrift mehr. Es gibt nur noch Boulevardblätter für Dummchen am Herd. Ich fürchte schon, dass es ein Zurückschrauben auf westliche Verhältnisse geben wird, die DDR-Frau hat ja in den Wessi-Vorstellungen keinen Platz.

Das klingt sehr bitter, um nicht zu sagen, verbittert. Aber brauchen die Frauen jetzt nicht vielmehr Optimismus, um mit den neuen Verhältnissen fertig zu werden?

Wenn es in absehbarer Zeit keine praktikable Alternative zu den "deutschen Verhältnissen" gibt, dann hat die Menschheit noch schätzungsweise 100 Jahre zu leben. Wir haben inzwischen die dritte Welt schon auf den Bahnhöfen. Der Kapitalismus funktioniert einfach nicht - entgegen wiederholten Behauptungen. Marktwirtschaft führt zum Untergang. Aus ökologischer und sozialer Sicht. Die Welt geht am Demokratiemangel zugrunde.

Eine große Zahl der Wähler hat sich doch gerade nach dem Prinzip Hoffnung entschieden. Ist es nicht vermessen, den Weltuntergang daraus abzuleiten, dass ein paar Träume vor der Realität nicht bestanden?

Ich will mich nicht der Wählerbeschimpfung schuldig machen, aber das Wahlverhalten steht für Abschieben von Verantwortung, für Anlehnung an einen starken Mann. Sicherheit, Ruhe, Ordnung, Kraft - das ist Kohl. Es ist nichts von dem eingetroffen, was er versprochen hat, seine Szenarien stimmen hinten und vorn nicht - trotzdem wurde er gewählt. Die Leute drücken existenzielle Probleme einfach weg. Im drittreichsten Land der Welt wird einem weisgemacht, dass soziale Probleme mangelnder Arbeitsproduktivität geschuldet sind. Dabei ist das vielmehr ein Verteilungsproblem!

Sie sehen keine Chancen für linke Politik?

Wir hatten die Chance zu einer Alternative und haben sie uns kaputtmachen lassen, nun sind wir auf den verkehrten Weg eingeschwenkt. Wenn's alle gemerkt haben, weil sie mit Gasmaske durch die Welt rennen, wird es zu spät sein. Dann sind die Schäden irreparabel. Was wir brauchen ist nicht Problemmanagement, nicht Kat, Filter und diese ganze Reparaturpolitik, sondern eine neue Definition der Bedürfnisse.

Keine Chance?

Sagen wir mal, die Chancen stehen nicht gut.

Interview: CORINNA FRICKE,
WERNER WILTNER

Neues Deutschland, Di. 11.12.1990

Δ nach oben