6.2.90
ERFAHRUNGSAUSTAUSCH VON BETRIEBSRÄTEN
(Artikel für die Betriebszeitung "Der Stadtwirtschaftler")
Ungefähr 150 Kollegen, überwiegend aus Berliner Betrieben und Einrichtungen, trafen sich am Sonnabend, dem 3. Februar im Kulturhaus des Werks für Fernsehelektronik (WF) in [Berlin-]Oberschöneweide zu einem Erfahrungsaustausch zur Arbeit von Betriebsräten. Eingeladen hatte die Gruppe "Betriebsarbeit" der Berliner Regionalorganisation der "Vereinigten Linken".
Nach einleitenden Kurzreferaten zur Geschichte der Rätebewegung, zur wirtschaftlichen Situation in der DDR und zu Rechtsfragen begann eine lebhafte mehrstündige Debatte zu den Erfahrungsberichten von Mitglieder und Vorsitzenden von Berliner Betriebsräten, Arbeiterräten, Belegschaftsräten von Teilbetrieben und Gewerkschaftsfunktionären. Die Erfahrungsberichte waren überwiegend getragen von einer bemerkenswerten Suche nach rechtlichen Regelungen oder zumindest betrieblichen Vereinbarungen. Überall wurde von Mitbestimmung gesprochen, aber niemand konnte zunächst klarmachen, wie denn diese Mitbestimmung so zu fixieren sei, dass wirklich die Interessen der Werktätigen, nötigenfalls auch gegen die Leitung des Betriebes, durchgesetzt werden könnten.
Angesichts dieser Situation wirkte der Beitrag unseres Kollegen Richard B(...), Kraftfahrer vom Fuhrhof 1, ausgesprochen erfrischend. Er machte deutlich, dass die Kraft der Arbeiter, wenn sie über legitimierte Räte verfügen, einfach durch ihre Autorität wirkt, um zu erreichen, "dass nichts läuft, was der Arbeiterrat nicht sanktioniert hat", da ansonsten eben kein Fahrzeug vom Hof fährt. Das ist genau sie Sprache, in der sich Arbeiter in unserem Lande auf dem Wege in die Segnungen der "sozialen Marktwirtschaft" äußern müssen.
Es gab viele Diskussionsbeiträge, wo Kollegen auf gesetzliche Regelungen nach bundesdeutschen Muster warteten. Hier hatten die Veranstalter den richtigen Griff getan, indem sie aktive Gewerkschafter und Betriebsratsmitglieder aus der BRD eingeladen hatten. Vielen Teilnehmern wurden die Augen geöffnet, als klar wurde, dass bundesdeutsche Betriebsräte eigentlich überhaupt keine Rechte haben, da sie dem "Friedensgebot" des Betriebsverfassungsgesetz unterliegen, und jeder Betriebsrat, der seine Kollegen zu Aktionen aufruft, "wegen Störung des Betriebsfriedens" gefeuert werden kann.
Unverständlich war das Auftreten des BGL-Vorsitzenden des gastgebenden Betriebes WF. Anstatt die vielen Hinweise aufzunehmen, dass es keinen Konkurrenzkampf zwischen Gewerkschaft und Rätebewegung geben darf, dass die Arbeit der Räte auf Dauer nur erfolgreich verlaufen kann, wenn sie sich auf starke Gewerkschaften stützt, dass jedes Gegeneinander von betrieblichen Gewerkschaftsleitungen und Räten der Sache der Werktätigen nur Schaden bringt, erklärte er, dass seine BGL jede Zusammenarbeit mit dem Betriebsrat ablehne. Sein Standpunkt erhielt allerdings keinen Beifall, und es war schon interessant, dass ausgerechnet der Vorsitzende des Belegschaftsrates des Pankower Zweigbetriebes von WF diesem Kollegen die Unhaltbarkeit seines bornierten Standpunkts überzeugend nachwies.
Einig waren sie sich also nahezu alle Teilnehmer über die Notwendigkeit betrieblicher Räte und ein möglichst enges Verhältnis zu den Gewerkschaften. Auch hier war das Beispiel des Fuhrhofes 1 hochinteressant. Haben doch die Kollegen verstanden, ihren Arbeiterrat faktisch mit der AGL zusammenzuschließen.
Trotzdem wird dem aufmerksamen Beobachter nicht entgangen sein, dass es zu den Aufgaben von Räten in den Betrieben (Betriebsräten, Personalräten, Belegschaftsräten, Arbeiterräten, Verwaltungsräten) in der gegenwärtigen Situation unseres Landes sehr unterschiedliche Positionen gibt.
1. Bei der Vereinigten Linken scheint noch immer die Illusion vorzuherrschen, als könnten sich betriebliche Räte in Organe der Selbstverwaltung der Betriebe durch die Werktätigen auf dem Wege zu sozialistischen Verhältnissen verwandeln. Hier gibt es zweifellos eine eindrucksvolle theoretische Vorarbeit. Dem fehlt aber jede reale Basis zur Verwirklichung solcher Positionen. Angesichts der gegenwärtigen Prozesse der Umwandlung administrativ-bürokratisch geleiteter Staatsbetriebe in staatskapitalistische Betriebe kann von der Verwandlung von Staatsbetrieben in wirklich volkseigene Betriebe keine rede mehr sein. Die Vorstellungen der Vereinigten Linken auf diesem Gebiet schaffen nur Illusionen und halten die Werktätigen von ihren aktuellen Kampfaufgaben ab.
2. In vielen Betrieben organisieren sich die Betriebsräte auf bundesdeutsche Modelle. Sie laufen Gefahr, sich in Instrumente der Betriebsleitungen zu verwandeln, in Gremien zur Legitimation der Direktoren, in Organe einer "sozialverträglichen Partnerschaft" zwischen Direktoren und Belegschaft im sogenannten betrieblichen Gesamtinteresse. Diese Kollegen merken gar nicht, wie nahe sie mit ihren Auffassungen den alten stalinistischen Positionen über die Rolle der Gewerkschaften sind, wobei an die Stelle der Partei eben nur die Betriebsleitung treten soll. In ihrer Hoffung auf baldige Gesetze sehen sie nicht, dass die Regierung gegenwärtig Regelungen für die Arbeit von Betriebsräten vorbereitet, die genau darauf hinauslaufen. Aber die Absichten der alten Wirtschaftsbürokraten in den Chefbüros der Betriebe und Kombinate waren ebenso unvereinbar mit den Interessen der Werktätigen, wie dies künftig bei den Absichten staats- oder privatkapitalistischer Bosse und Manager der Fall sein wird. Ob stalinistische Bürokratie oder Marktwirtschaft: wenn Arbeiter sich auf "gesamtgesellschaftliche" oder "gesamtbetriebliche" Interessen einlassen, werden sie immer den kürzeren ziehen.
3. Der Beitrag unseres Kollegen B(...) erregte deshalb so viel Aufmerksamkeit, weil hier deutlich wurde, worin gegenwärtig der Sinn der Rätebewegung liegen muss: in der Vereinigung aller Arbeiter und Angestellten (ohne Leitungsaufgaben) bei der Sicherung vorhandener und der Durchsetzung weiterer Rechte. Was in jedem Betriebsteil, Betrieb, Kombinat heute durchgesetzt und gesichert wird, kann durch künftige Regierungen nur schwer wieder beseitigt werden. Viele Kollegen in der Bundesrepublik beneiden uns darum, dass die Unsicherheiten der Herrschenden gegenwärtig noch so groß sind, dass die zeit noch nicht vorbei ist, wo Arbeiter ihre Rechte erweitern können, wo Arbeiter noch erfolgreich um die Sicherung vorhandener Rechte kämpfen können. Es geht darum, Pfähle einzurammen, damit der schon beginnende Angriff der Unternehmer gestoppt wird. Und dieser Druck auf uns wird sich verstärken. Ohne gefestigte Räte als Organisatoren des Abwehrkampfes gegen Unternehmerinteressen, ohne starke Gewerkschaften, vor allem zur Führung des überbetrieblichen Kampfes, werden wir wieder einmal die Verlierer sein.
Die drei Fuhrhöfe der Müllabfuhr verfügen über Arbeiterräte und haben erste Erfahrungen in der gemeinsamen Wahrnehmung ihrer Interessen gesammelt. Es ist höchste Zeit, dass die Arbeiter und nicht leitenden Angestellten aller Betriebe und Betriebsteile des Stammbetriebes aus diesen Erfahrungen lernen. Ich halte es für dringend erforderlich, dass das provisorische Arbeitsekretariat der BGL gemeinsam mit den Arbeiterräten der Fuhrhöfe kurzfristig eine Konferenz einberuft, bei der die Delegierten aller Kollektive des Stammbetriebes darüber beraten, wie die Interessenvertretung aller Werktätigen der Stadtwirtschaft zu organisieren ist. Und wenn die BGL wieder einmal versagen sollte, dann sollten die Kollegen der Fuhrhöfe allein dazu aufrufen. Warten wir, nicht wieder (wie so oft in der Vergangenheit) bis etwas "von oben" kommt.
VON OBEN NACH UNTEN WÄCHST GAR NICHTS.
Wolfgang Wolf
Bereich R