Erklärung der Kreismitgliederversammlung Treptow (12. Oktober):

Wir sind tief betroffen, dass der 40. Jahrestag unserer Republik - an dem wir allen Grund hatten, stolz auf die Leistungen unseres Volkes in vier Jahrzehnten und unseren eigenen Beitrag dazu zurückzublicken überschattet war von alarmierenden Ereignissen: Zehntausende, zumeist junge, leistungsfähige Menschen verließen und verlassen resignierend und protestierend unser Land!

Wir verabscheuen die anlässlich der Willensbekundungen von beiden Seiten ausgeübte Gewalt! Das mangelnde Vertrauen vieler Bürger der DDR zu ihrem Staat und des Staates gegenüber seinen Bürgern kann nur im freimütigen Dialog, auf der gemeinsamen Suche nach den Wegen für die Bewältigung der gegenwärtig noch nicht gelösten Probleme wiederhergestellt werden!

Wir solidarisieren uns mit allen Menschen, die sich in den zurückliegenden Wochen und Tagen in kultivierter Form mit ihren Mahnungen, Kritiken und Vorschlägen zu Wort gemeldet haben. Wenn die politische Führung eines Landes die Initiative aus der Hand gleiten lässt, müssen sich die Bürger des Landes zu Wort melden dürfen.

Wir kritisieren, dass die Führung unserer Partei - ebenso wie offensichtlich auch jene der anderen Parteien - den seit Jahren an sie herangetragenen Hinweisen, Kritiken und Vorschlägen ihrer Mitglieder zu den jetzt öffentlich diskutierten Problemen anscheinend ungenügende Beachtung schenkte bzw. diese Fragen im Demokratischen Block und in der Staatsführung nicht deutlich genug auf die Tagesordnung setzte. Wir wissen, dass unsere leitenden Funktionäre der Bezirkssekretariate sowie des Präsidiums und Sekretariats des Hauptvorstandes alle diese Fragen seit Jahren aus Tausenden Mitgliederversammlungen, an denen sie persönlich teilgenommen haben, sowie aus zahllosen Gesprächen an der Zentralen Schulungsstätte unserer Partei in Burgscheidungen und aus einer Fülle von Informationsberichten der Kreisverbände kennen.

Wir bekennen, dass wir selbst versagt haben, unsere Meinung rechtzeitig, unmissverständlich und hartnäckig genug deutlich zu machen. Das betrifft die meisten Mitglieder hinsichtlich ihres Auftretens in den Betrieben, Einrichtungen und im Territorium, das betrifft unsere Abgeordneten hinsichtlich ihrer Mitarbeit in den Volksvertretungen sowie ihres Auftretens vor den Wählern, das betrifft vor allem den Kreisvorstand und sein Sekretariat hinsichtlich seines Auftretens im Demokratischen Block und in der demokratischen Öffentlichkeit allgemein, hinsichtlich seiner ungenügenden Orientierung der Ortsgruppen auf die Schwerpunktaufgaben sowie hinsichtlich der nicht konsequenten Interessenvertretung der Mitglieder des Kreisverbandes gegenüber der Parteiführung.

Wir erwarten, dass über die weitere Ausgestaltung unserer sozialistischen Gesellschaftsordnung unter Führung des Demokratischen Blocks der bestehenden Parteien eine intensive Volksaussprache bei offener Berichterstattung unserer Massenmedien stattfindet.

Wir schlagen vor, die gemeinsame Verantwortung des Demokratischen Blocks weiter auszubauen und konsequent wahrzunehmen. Dazu muss ernsthaft darüber nachgedacht werden, wie die bündnispolitische Mitverantwortung aller demokratischen Kräfte auch in den Betrieben und Einrichtungen der Volkswirtschaft, des Gesundheits- und Sozialwesens, der Volksbildung und der Kultur sichergestellt werden kann.

Wir sind entschlossen, unsere Gedanken und Vorschläge zu den anstehenden Entwicklungsproblemen unserer sozialistischen Gesellschaftsordnung einzubringen, und erwarten dazu unverzügliche Antworten bzw. Stellungnahmen der übergeordneten Parteiorgane. Wir sind für eine öffentliche und offensive Diskussion, die sich in unserer Parteipresse widerspiegeln muss.

Grundlage unseres Redens und Handelns sind und bleiben für uns die im Statut unserer Partei formulierten Hauptanliegen: Frieden, Demokratie und Sozialismus. Wir stehen zu einem ertragreichen sozialistischen Parteienbündnis.

(Auszug)

Neue Zeit, Fr. 24.10.1989, Jahrgang 45, Ausgabe 250, Zentralorgan der Christlich-Demokratischen Union Deutschlands

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