Ziele der DDR-Liberalen

Zentralvorstand beschloss "Erklärung der LDPD"

Im Prozess der demokratischen Erneuerung unseres Landes hält es die Liberal-Demokratische Partei Deutschlands für dringlich zu erklären:

I.

Unser Ziel ist die freie Entfaltung der menschlichen Persönlichkeit. Wir wollen keine neuen "Modelle" des Sozialismus.

Gescheitert sind Machtanspruch und Machtpolitik einer Partei. Gescheitert sind die zentralistische Planung und die ökonomische Administration. Gescheitert ist die ideologische Ausrichtung unseres Volkes, der Versuch, die Herrschaft einer Weltanschauung rücksichtslos durchzusetzen.

Die neue Gesellschaft, die wir wollen, soll ein demokratisches Gemeinwesen sein. Sie zeichnet sich dadurch aus, dass in ihr

- die Würde und Integrität jedes Menschen geachtet werden,

- die politischen Rechte und Freiheiten jedes Bürgers garantiert, seine sozialen Rechte und Freiheiten verwirklicht werden,

- Leistung und Kompetenz herausgefordert und anerkannt werden, Solidarität gegenüber Schwachen und Minderheiten geübt wird,

- Wahrheit, Offenheit und Toleranz zu den höchsten politischen Tugenden des Staates und seiner Bürger zählen.

Die neue Gesellschaft soll eine sozial gerechte Ordnung sein, in der die große Idee der Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit durch unser Handeln eine Chance hat.

Im Neuansatz der Politik unserer Partei gehen wir damit vom Menschen als Persönlichkeit, von unveräußerlichen Rechten und Freiheiten aus, nicht wie bisher von der Gesellschaft, vom Staat, von Klassen und Schichten. Natürlich ist der Einzelne zugleich Bürger des Gemeinwesens, Teil seines Volkes, Deutscher. Also bedarf es liberaler und demokratischer Politik, d. h. der Gestaltung eines humanistischen Gemeinwesens nach dem Willen der Mehrheit mit anderen. Wir stehen für keinen Sozialismus mehr zur Verfügung!

II.

Unser Ziel ist eine Marktwirtschaft, die soziale und ökologische Sicherheit gewährleistet. Wir wenden uns damit ab von der Mängel verursachenden Planwirtschaft mit ihrem Zentralismus und Bürokratismus.

Es geht uns um eine Wirtschaftsordnung, in der Leistungsprinzip und ökonomischer Wettbewerb eigenständiger Wirtschaftseinheiten aller Eigentumsformen höchste Effektivität bewirken und durch regulierenden Einfluss des demokratischen Staates soziale und ökologische Aufgaben im gesamtgesellschaftlichen Interesse wahrgenommen werden.

Deshalb treten wir ein für:

- die Anwendung umweltschonender Technologien und die Stimulierung ökologisch-ökonomisch rationeller Verhaltensweisen von Produzenten und Konsumenten,

- die uneingeschränkte Anwendung des Leistungsprinzips in allen Bereichen bei einer generellen materiellen und moralischen Neubewertung wissenschaftlich-technischer Arbeit und Leitungsverantwortung,

- soziale Sicherheit, insbesondere für Leistungs- und Einkommensschwache durch entsprechende Lohn- und Verbraucherpreispolitik,

- die Neubestimmung der Strukturpolitik für effektive, veredlungs- und intelligenzintensive Erzeugnislinien mit einem hohen Stellenwert der Konsumgüterindustrie und Nahrungsgüterwirtschaft,

- die volle Ausschöpfung der Möglichkeiten der internationalen Spezialisierung und Kooperation,

- die Herausbildung eines allein von der Effektivität bestimmten Verhältnisses von Groß-, Mittel- und Kleinbetrieben,

- die freie Entfaltung privater Initiative durch die Entwicklung aller Eigentumsformen, einschließlich der Nutzung der verschiedensten Formen in- und ausländischer Kapitalbeteiligung, in Industrie, Bauwesen, Verkehr, Handwerk, Handel, anderem Gewerbe, im Dienstleistungsbereich sowie in zulassungspflichtigen Berufen,

- die volle Entfaltung genossenschaftlicher Selbstverwaltung sowie der Gewerbefreiheit bei gleichzeitiger Bewahrung der Werte handwerklicher Arbeit.

III.

Unser Ziel ist eine neue staatliche Einheit Deutschlands in den Grenzen von 1989 in einem geeinten Europa. Die These von der sozialistischen deutschen Nation ist gescheitert.

Wir wissen, dass die deutsche Frage nicht Sache der Deutschen allein ist. Sie ist eine europäische Frage. Beide deutsche Staaten sind in unterschiedliche Paktsysteme eingebunden. Es gibt macht- und sicherheitspolitische Interessen von Staaten der einstiger Antihitlerkoalition, vor allem der UdSSR und der USA. Viele Völker Europas befürchten Konsequenzen, die sich aus der Lösung der deutschen Frage ergeben könnten. Wir wollen keinen "Ausverkauf" der DDR. Die Forderung nach sofortiger Vereinigung beider deutscher Saaten ist deshalb unserem übergeordneten Ziel nicht förderlich. Wir engagieren uns für eine schrittweise Vereinigung, eingebettet in den Prozess internationaler Abrüstungsverhandlungen und als Teil des Strebens nach Errichtung des europäischen Hauses. Zwischen der DDR und der BRD bzw. Berlin (West) zu vereinbarende Schritte können sein:

- eine Vertragsgemeinschaft, die das im Grundlagenvertrag Ausgehandelte weit übersteigt,

- konföderative Strukturen hin zu einem Wirtschafts- und Verkehrsverbund, Bildung gemeinsamer Kommissionen und Ausschüsse, enges Zusammenwirken von Städten und Regionen,

- ein Deutscher Bund mit gesamtdeutschen staatlichen Institutionen, einer Bundesversammlung, einem Bundesoberhaupt, gemeinsamer UNO-Mitgliedschaft.

In diesem Prozess, der von beiden deutschen Staaten, Menschen und Politikern mit Vernunft, Augenmaß und Realitätssinn vorangebracht wird, erringen sich die Deutschen unter den Europäern einen geachteten Platz als willkommene Nachbarn. Wir wollen, dass sich die DDR in diese Entwicklung mit eigenem Gesicht und offenen Grenzen aktiv einbringt. Dazu gehören nach unserer Auffassung politische und wirtschaftliche Stabilität ebenso wie die Wiedergeburt der Länder im Zuge einer Verwaltungsreform, Ideen und Erfahrungen.

IV.

Unser Ziel ist ein Europa, das im Jahre 2000 sowohl von nuklearen Waffen als auch von Armeen befreit ist, die sich konventionell hochgerüstet gegenüberstehen. Unser Kontinent darf nicht länger ein Pulverfass sein. Das verlangt mutige Abrüstungsschritte sowie die Förderung übergreifender Sicherheitsstrukturen bis hin zur Auflösung der Blöcke nicht gegen Verbündete und nicht ohne sie, sondern in Übereinstimmung mit ihnen, vor allem mit der Sowjetunion. Wir wollen, dass die DDR in diesem Sinne initiativ wird und schlagen vor

- eine personelle Verringerung der NVA,

- die Umrüstung unserer Streitkräfte, z. B. Verzicht auf bestimmte Waffenarten und Spezialverbände,

- Verkürzung der Militärdienstzeit auf zwölf Monate,

- drastische Senkung der Verteidigungsausgaben,

- wesentliche Verringerung der militärischen Sperrgebiete und Umwandlung der gewonnenen Flächen auch für Erholungszwecke der Bürger.

Wir treten für eine demokratische Militärreform ein. Ihr Kern ist die Verwandlung der NVA zu einer wahren Volks-Armee. Weiterhin geht es darum,

- im Zuge der Neufassung unseres Grundgesetzes den Nationalen Verteidigungsrat abzuschaffen und seine Befugnisse dem Verteidigungsminister zuzuordnen,

- Verantwortlichkeiten und Verantwortungsbereich auf militärischem Gebiet offenzulegen und eindeutig zu bestimmen,

- im Hinblick auf die innere Verfassung und Selbstdarstellung der NVA den politischen Erziehungsauftrag abzuschaffen; der Soldat ist und bleibt Bürger,

- die NVA auf Verteidigungsaufgaben im engeren Sinne zu beschränken, auf "Paraden, Litzen und Lametta" zu verzichten sowie auf Sportklubs und Kulturensembles, die aus dem Verteidigungshaushalt bezahlt werden.

Die Militärreform muss einhergehen mit einer allgemeinen Demilitarisierung der DDR, insbesondere der Bildung und Erziehung des politischen Denkens. Damit sind zugleich Akzente gesetzt für die Neubestimmung der Militärdoktrin der DDR.

Der Morgen, Fr. 22.12.1989

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