2. Sitzung, 18.12.1989
Rolf Henrich bestritt auf dieser Sitzung eine Berechtigung des Runden Tisches abzuberufen oder abzuwählen.
Das "Neue Forum" ist besorgt über den Zustand der DDR-Justiz. Während sich in allen gesellschaftlichen Bereichen der DDR schmerzhafte Prozesse der inneren Selbstreinigung vollziehen, erweckt der Justiz-Bereich weitgehend den Eindruck, als seien ausgerechnet hier personelle und andere Änderungen nur in geringstem Umfang erforderlich. Das Gegenteil ist jedoch der Fall. Für ein verbreitetes Verhalten des Nicht-Verantwortung-Übernehmen-Wollens steht besonders die Person des Justizministers Dr. Heusinger ein, welcher unbestreitbar die grundlegend verfehlte, oftmals menschenverachtende Rechtspolitik der letzten 15 Jahre zu vertreten hat. Es ist eine Zumutung für unser Volk, wenn dieser Minister auch nach dem Rücktritt des alten Ministerrates wieder auftaucht und im Kabinett Modrow weiter amtiert, als sei nichts geschehen. Justizminister Heusinger hat ebenso wie die Vorsitzenden der Senate des Obersten Gerichts, der Präsident des Obersten Gerichts, der Generalstaatsanwalt, die Bezirksstaatsanwälte und Direktoren der Bezirksgerichte sowie die Bezirksgerichtsrichter der Ersten Strafsenate und die Staatsanwälte der Abteilung 1a Verantwortung zu übernehmen. Dieser Personenkreis ist aus der Justiz zu entfernen, da er mit seinem Verhalten für die unmenschliche Strafpraxis der Vergangenheit steht und mit diesen Personen als Funktionsträgern in der Justiz die gewünschte Rechtsstaatlichkeit nicht glaubwürdig ist.
Die Justiz muss erkennbar mit der Aufarbeitung ihrer stalinistischen Vergangenheit beginnen. Es sind auch die vielen namenlosen Opfer der DDR-Justiz kurzfristig zu rehabilitieren und zu entschädigen. Dazu ist im Bereich des Ministeriums für Justiz unter Mitwirkung und maßgeblicher Leitung unabhängiger Persönlichkeiten ein Arbeitsstab zu gründen, der systematisch die Prozessgeschichte der DDR überprüft, die Rehabilitierung und Entschädigung der Opfer organisiert und sichert, dass alle "aus politischen" Gründen verurteilten Gefangenen freigelassen werden, soweit das nicht schon geschehen ist. Dabei soll insbesondere gesichert werden, dass auch die wegen Straftatbeständen der allgemeinen Kriminalität, hier ist besonders das Rowdytum zu nennen, verurteilten politischen Häftlinge freikommen.
[Die Stellungnahme wurde vom NF-Vertreter Rolf Henrich eingebracht. Anschließend gab er noch eine kurze Erläuterung.]
Zwei Sätze vielleicht zur Erläuterung: Der Personenkreis, der hier eingegrenzt ist, Staatsanwälte 1a, das ist der Personenkreis, der unmittelbar mit den politischen Strafverhandlungen zu tun hatte. Deshalb diese sehr enge, zahlenmäßig genaue Beschreibung eines Personenkreises und diese Eingrenzung. Wir denken, dass das zumindest ein erkennbares Signal für eine erneuerte Justiz auf dem Wege zur Rechtsstaatlichkeit wäre.
Noch ein Wort zu den politischen Gefangenen: Es stellt sich jetzt immer wieder heraus, dass nach wie vor Bürger in Haft gehalten werden, die aus politischen Gründen inhaftiert wurden. Da besteht das juristische Problem im Moment darin, dass hier teilweise absichtlich Straftatbestände der allgemeinen Kriminalität angewandt wurden, "Rowdytum" zum Beispiel.
Das Rowdytum ist nicht amnestiert worden. Das muss man wissen. Also, da gibt es Menschen, die jetzt im Grunde genommen noch in Haft sind und die man aus der Statistik allein nicht herauslesen kann. Dieses Problem will ich insbesondere in den Mittelpunkt gestellt wissen. Deshalb dieser letzte Absatz, damit man hier nicht Einzelne vergisst. Wir haben das auf Demonstrationen erlebt, dass da Männer aufgetreten sind, deren Frauen noch in Haft saßen. Also, dieses Problem gibt es.