Ein Mann, will nicht als Diestels Feigenblatt, herhalten
Regierungsbevollmächtigter Fischer zu Querelen um Stasi-Auflösungskomitee
Anfang Februar zog Werner Fischer von der Initiative Frieden und Menschenrechte als Regierungsbevollmächtigter für die Stasi-Auflösung in das MfS-Objekt Gotlindestraße [Berlin-Lichtenberg] ein. Im Auftrag Hans Modrows hatten er und seine beiden "Kollegen" Dr. Böhm (DBD) und Fritz Peter (PDS) das staatliche Auflösungskomitee anzuleiten sowie die Arbeit mit dem Bürgerkomitee, das seit Mitte Januar in der Normannenstraße tätig war, zu koordinieren. Inzwischen dient Werner Fischer einer neuen Regierung, die aber nicht sonderlich an seiner Mitarbeit interessiert zu sein scheint. BZ sprach mit dem Regierungebevollmächtigten.
BZ: Herr Fischer, man hört im Gegensatz zu früher nur noch selten von Ihnen. Sind Sie müde geworden?
W. Fischer: Nein, ich will eigentlich auf diesem Posten weitermachen. Aber einige Leute haben offensichtlich wenig Interesse daran.
BZ: Spielen Sie auf die Vorstellungen des Innenministers über die weitere Verfahrensweise bei der Stasi-Auflösung an?
W. Fischer: Herr Diestel ist offenbar der Meinung, wir drei hätten unsere Schuldigkeit getan. In einem Gespräch vor drei Wochen informierte er mich, dass er gedenke, die Auflösung nun allein in die Hand zu nehmen. Auf meine Erfahrungen wolle er aber nicht verzichten und bot mir einen Posten in seiner Beratergruppe an. Mit anderen Worten: Entscheidungen behält er sich vor, ebenso die Öffentlichkeitsarbeit.
BZ: Was haben Sie ihm geantwortet?
W. Fischer: Dass ich nicht gewillt bin, ein Feigenblatt für ihn abzugeben.
Bürgerkomitees sollten aufs Abstellgleis
BZ: Die Bürgerkomitees wollten Herr Diestel ja auch aufs Abstellgleis schieben?
W. Fischer: Zunächst ja, aber inzwischen hat er - nach unserem Brief an seinen Chef de Maizière und dem Artikel in der "Berliner Zeitung" - eingelenkt: Ein Beschlussentwurf - erarbeitet vom Leiter des staatlichen Komitees, Eichhorn - "über die weiteren Aufgaben und Maßnahmen zur Auflösung des ehemaligen MfS", der wahrscheinlich bald dem Ministerrat vorgelegt wird und Diestel weitreichende Machtbefugnisse einräumt, ist um einen Passus ergänzt worden, der das Weiterarbeiten der Bürgerkomitees garantiert.
BZ: Was steht in diesem Entwurf zur Rolle der Regierungsbevollmächtigten?
W. Fischer: Sie ist nicht erwähnt. Das bedeutet für mich, dass der Ministerratsbeschluss vom 8. Februar, der unsere Arbeit legitimiert, nicht außer Kraft gesetzt wird. Obgleich Herr Diestel diesen Beschluss seit einigen Wochen ignoriert.
Diverse Absprachen hinter dem Rücken
BZ: Inwiefern?
W. Fischer: Indem er nur noch mit Herrn Eichhorn, dem Leiter des Staatlichen Komitees, verhandelt, dem wie Regierungsbevollmächtigten eigentlich vorgesetzt sind. Hinter unserem Rücken werden hier Absprachen getroffen, von denen wir so gut wie nichts erfahren. Und das, obwohl Eichhorn sehr umstritten ist, mehrfach vom Runden Tisch seine Ablösung gefordert wurde: Erst unlängst warf man ihm wieder vor, die Ermittlungen um die Schiebereien der Firma VEM bewusst zu verschleppen.
BZ: Sie als seine Vorgesetzten könnten ihn doch ablösen?
W. Fischer: Theoretisch ja, aber wir haben noch keine Beweise für die Vorwürfe.
BZ: Herr Fischer, wie schätzen Sie die bisherigen Ermittlungsergebnisse der Auflöser ein?
W. Fischer: Man muss differenzieren. In den Bezirken sind die Bürgerkomitees weiter, sie hatten ja früher mit der Stasi-Auflösung begonnen als wir in Berlin. Außerdem ist in der Republik manches überschaubarer als hier in der Zentrale. In den Bezirken geht man jetzt schon in die Tiefe, sichtet Unterlagen, wertet sie aus. In der Normannenstraße [Berlin-Lichtenberg] lagern 100 Kilometer Akten, davon ist gerade mal ein Fünftel archiviert. Die Auswertung wird noch Jahre in Anspruch nehmen, aber sie muss gemacht werden, wenn wir ehrlich eine Aufarbeitung der Geschichte wollen.
BZ: Und wenn man die Schuldigen, die Täter ermitteln will?
W. Fischer: Ja, denn das ist vielleicht unser größtes Problem. Wir kommen nicht an die Führungsclique dieses Apparates heran, wir haben noch nichts gegen sie in der Hand. Vieles geschah in diesem Moloch auf Zuruf, brisante Anweisungen wurden sofort vernichtet - es war eben ein durchorganisierter Geheimdienst.
BZ: Es gibt Stimmen, die eine Amnestie für alle Staat-Mitarbeiter fordern.
W. Fischer: Ich bin dagegen, denn eine solche Amnestie würde die durchaus vorhanden gewesene Differenzierung in diesem System verwischen. Die Stasi war - das habe ich in vielen Gesprächen, mit ehemaligen Mitarbeitern erfahren - ein Spiegelbild unserer Gesellschaft. Auch hier gab es, ein Oben, beginnend etwa bei der Ebene Abteilungsleiter; und ein Unten. Meine jetzige Sekretärin beispielsweise hat in der Arbeitsgruppe Minister gearbeitet. Sie verdiente 1 400 Mark monatlich, musste auch zehn Jahre auf ihren Trabi warten. Hinzu kommt der enorme psychische Druck, unter dem hier jeder stand, der Alkohol spielte eine ganz große Rolle. Grund war diese Schizophrenie, nirgendwo die eigenen Gedanken äußern zu können. In Wohnungen einiger Stasi-Leute waren Wanzen installiert, Telefone wurden abgehört, Mitarbeiter aufeinander angesetzt.
BZ: Das klingt fast wie ein Plädoyer für Vergebung.
W. Fischer: Das soll und kann es nicht sein. Schließlich hat jeder gewusst, wo und wofür er arbeitet, und jeder hätte die Möglichkeit gehabt, aus dem Geheimdienst - wenngleich damit natürlich auch persönliche Härten verbunden gewesen wären - auszuscheiden oder dort erst gar nicht anzufangen.
BZ: Vielleicht sollten ehemalige Stasi-Mitarbeiter den Schritt in die Öffentlichkeit suchen, über ihre Motivationen, über ihre Haltung zu gestern und heute, zu ihren Opfern berichten.
W. Fischer: Das meine ich auch.
Männer im Hintergrund müssen gefunden werden
BZ: Und was wird aus den Aktenbergen, den Millionen von Personendossiers?
W. Fischer: Anfang Januar war ich noch dafür, all das zu vernichten. Aber jetzt sehe ich vieles anders. Es kann nicht genügen, mit der Schuldzuweisung an Erich Mielke das Thema Stasi abzuschließen. Die Macher, die Männer im Hintergrund müssen gefunden werden. Ungeklärt ist noch so manche Querverbindung zur alten SED, dem eigentlichen Auftraggeber der Stasi. Auch hier darf sich keiner aus der Verantwortung stehlen. Aber ich erhoffe mir von einer wissenschaftlichen Analyse all dieser Akten auch einen Beitrag dafür, dass man in Deutschland endlich mal Geschichte bewältigt. Zu erwähnen wäre darüber hinaus noch ein ganz profaner Grund: In der DDR gibt es nur drei Papiermühlen, und die sind zu 80 Prozent mit Westaufträgen ausgelastet.
BZ: Aber die Gefahr, dass Akten in die falschen Hände geraten und neue Abhängigkeiten entstehen, bleibt damit real?
W. Fischer: Wir müssen damit leben. Aber wir können diese Gefahr verringern, indem wir darauf dringen, die Stasi-Auflösung, unter breite demokratische Kontrolle zu stellen.
Das Gespräch führte
Andreas Förster
aus: Berliner Zeitung, Di. 08.05.1990