9. Volkskammer 10. Tagung 24.10.1989


Berichte aus Neues Deutschland, Berliner Zeitung, Neue Zeit


Berlin. Die Volkskammer der Deutschen Demokratischen Republik trat am Dienstag in Berlin zu ihrer 10. Tagung zusammen. Sie wählte den Generalsekretär des ZK der SED, Egon Krenz, zum Vorsitzenden des Staatsrates und Vorsitzenden des Nationalen Verteidigungsrates der DDR. Bei der Wahl zum Vorsitzenden des Staatsrates votierten 26 Abgeordnete gegen den Vorschlag, 26 weitere übten Stimmenthaltung. Bei der Wahl zum Vorsitzenden des Nationalen Verteidigungsrates gab es 8 Gegenstimmen und 17 Stimmenthaltungen. Der Vorsitzende des Staatsrates gab unmittelbar nach seiner Vereidigung eine Erklärung ab, die wir nebenstehend im Wortlaut veröffentlichen.

Volkskammerpräsident Horst Sindermann, der die Tagung 10.30 Uhr eröffnete, teilte mit, dass die Abgeordneten den Antrag der Fraktion der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands zur Wahl des höchsten Repräsentanten unsres Staates zu behandeln haben. Diese Wahl sei eine der Volkskammer verfassungsrechtlich übertragene Aufgabe. Das ist, erklärte er, in jedem Parlament ein würdiger Akt, der ohne andere Tagesordnungspunkte getätigt wird.

Dazu lag der Volkskammer ein Brief der SED-Fraktion an das Präsidium der Volkskammer vor. Der Präsident betonte, die Aufnahme des Antrags in die Tagesordnung bedeute, einen Beschluss großer Tragweite für unser Volk und für seine Zukunft zu fassen.

Das Präsidium der Volkskammer habe sich darüber verständigt, alle Vorschläge von Abgeordneten, Fraktionen und Ausschüssen gründlich zu beraten, um daraus auch die Tagesordnung für die Problemdiskussion zu konzipieren, die zur weiteren Ausgestaltung unseres Rechtsstaates notwendig sind. Das werde die Arbeit des Präsidiums und der Ausschüsse in den nächsten Tagen und Wochen bestimmen. Das Präsidium schätze ein, dass bei gründlicher Beratung aller Anträge im Präsidium und in den Ausschüssen die nächste Volkskammertagung schon in der zweiten Novemberhälfte durchgeführt werden kann. Es benötige natürlich Zeit, die eingereichten Vorschläge, die Gesetzesvorschläge der Regierung gründlich zu beraten.

"Wir sind damit einverstanden", sagte der Volkskammerpräsident, "dass viele Abgeordnete verlangen, den Formalismus aus unserem Hause zu verbannen und den Marxistischen Grundsatz zu respektieren, dass unser Parlament ein im Interesse des Volkes arbeitendes Gremium des Volkes ist."

Der Antrag der SED-Fraktion lautet: "Ausgehend neu den Beschüssen der 9. Tagung des Zentralkomitees der SED, schlägt die Fraktion der SED in Übereinstimmung mit Artikel 50 und 67 der Verfassung der DDR vor, den Abgeordneten Erich Honecker von Funktion als Vorsitzender des Staatsrates der DDR und als Vorsitzender des Nationalen Verteidigungsrates der DDR abzuberufen.

Für die Wahl als Vorsitzender des Staatsrates der Deutschen Demokratischen Republik und als Vorsitzender des Nationalen Verteidigungsrates der Deutschen Demokratischen Republik wird der Abgeordnete Egon Krenz, Generalsekretär des Zentralkomitees der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands, vorgeschlagen.

Die Fraktion der SED schlägt weiter vor, den Abgeordneten Günter Mittag von seinen Funktionen als Stellvertreter des Vorsitzenden des Staatsrates der DDR sowie als Vorsitzender des Ausschusses der Volkskammer für Industrie, Bauwesen und Verkehr abzuberufen."

Das Schreiben ist vom Vorsitzenden der SED-Fraktion, Erich Mückenberger, unterzeichnet.

Die Tagesordnung, die auf den Vorschlägen der SED-Fraktion aufbaut, wurde einstimmig angenommen.

Im Punkt 1 der Tagesordnung wurde der Abgeordnete Erich Honecker, der auf der 9. Tagung des ZK der SED aus gesundheitlichen Gründen um Entbindung von seiner Funktion als Staatsratsvorsitzender gebeten hatte, ohne Gegenstimmen und Stimmenthaltungen entsprechend dem Antrag seiner Fraktion von seinem entbunden.

"Erich Honecker hat Jahrzehnte als der höchste Repräsentant unseres sozialistischen Staates gewirkt und mit uns allen zusammengearbeitet", führte Horst Sindermann nach der Abstimmung aus. "Wir haben ihm unseren Respekt bezeugt als dem unbeugsamen Widerstandskämpfer gegen Krieg und Faschismus, als dem deutsches Politiker, der aus den Erfahrungen einer leidvollen Geschichte unseres Volkes mutig und aus tiefstem Herzen für eine Ablösung der Herrschaft jener gekämpft hat, die nur Leid und Tränen über unser Volk gebracht haben.

Wir lassen die menschliche Größe des Revolutionärs und die kommunistische Anständigkeit unseres Genossen Honecker nicht antasten. Wir wünschen Genossen Erich Honecker noch viel Gesundheit und betrachten ihn weiter als unseren Mitstreiter."

Die Abgeordneten nahmen diese Worte mit herzlichen Beifall entgegen. Erich Honecker hatte um Verständnis gebeten, dass er aus gesundheitlichen Gründen an der Tagung nicht teilnehmen konnte. Auch dem Antrag auf Abberufung des Vorsitzenden des Nationalen Verteidigungsrates wurde von den Abgeordneten stattgegeben. Einstimmigkeit gab es ebenfalls bei der Abberufung des Abgeordneten Dr. Günter Mittag als Stellvertreter des Vorsitzenden des Staatsrates und Ausschussvorsitzender.

Anschließend wurde Egon Krenz bei 26 Gegenstimmen und 26 Stimmenthaltungen zum Vorsitzenden des Staatsrates gewählt. Jana Golbs, jüngstes Mitglied der Obersten Volksvertretung, überreichte ihm einen Blumenstrauß.

Die Wahl zum Vorsitzenden des Nationalen Verteidigungsrates erfolgte bei acht Gegenstimmen und 17 Enthaltungen.

Während sich die Abgeordneten und Gäste der Tagung nun den Plätzen erhoben, leistete Egon Krenz am Rednerpult den in Artikel 68 der Verfassung vorgesehenen Eid: "Ich schwöre dass ich meine Kraft dem Wohle des Volkes der Deutschen Demokratischen Republik widmen, ihre Verfassung und die Gesetze wahren, meine Pflichten gewissenhaft erfüllen und Gerechtigkeit gegenüber jedermann üben werde."

Horst Sindermann überreichte Egon Krenz, der den Platz des Vorsitzenden des Staatsrates einnahm, die Urkunde zur Wahl als Vorsitzender des Nationalen Verteidigungsrates. Im Anschluss daran ergriff Egon Krenz das Wort zu seiner Erklärung.

11.30 Uhr schloss Horst Sindermann die Volkskammertagung. An Ihr hatten zahlreiche Gäste, darunter Mitglieder des Diplomatischen Corps, teilgenommen. Die Tagung wurde von 186 In- und ausländischen Journalisten, zwei DDR- und elf ausländischen Kamerateams beobachtet.

Neues Deutschland, Organ des Zentralkomitees der Sozialistischen Einheitspartei Deutschland, Nr. 251, Ausgabe B, 44. Jahrgang, Mi. 25.10.1989

Berlin. BZ - Klaus Degen Die Volkskammer der DDR hat gestern mit großer Stimmenmehrheit den Generalsekretär des Zentralkomitees der SED, Egon Krenz, zum Vorsitzenden des Staatsrates der DDR und Vorsitzenden des Nationalen Verteidigungsrates gewählt. Danach leistete Egon Krenz den verfassungsmäßigen Eid.

Die Wahl wurde erforderlich, nachdem Erich Honecker auf der 9. Tagung des Zentralkomitees der SED gebeten hatte, ihn aus gesundheitlichen Gründen von seinen Partei- und Staatsfunktionen zu entbinden.

Die 10. Tagung der obersten Volksvertretung war vom Präsidium auf Antrag der SED-Fraktion einberufen worden. Sie wurde von Volkskammerpräsident Horst Sindermann geleitet.

Vor Eintritt in die Tagesordnung teilte er zu zahlreichen Anfragen von Abgeordneten mit, dass darüber gründlich in den Fraktionen und Ausschüssen beraten werde. Dies betrifft u. a. Problemdiskussionen zur weiteren Ausgestaltung des Rechtsstaates. Der gesamte Vorgang verlange auch Öffentlichkeit.

Die nächste Tagung der Volkskammer ist für die zweite Novemberhälfte vorgesehen. Bis dahin gäbe es arbeitsreiche Tage und Wochen.

Horst Sindermann verlas dann den vom Abgeordneten Erich Mückenberger unterzeichneten Antrag der SED-Fraktion, den Abgeordneten Erich Honecker von seinen Staatsfunktionen abzuberufen und in diese Ämter den Abgeordneten Egon Krenz zu wählen. Weiter wurde vorgeschlagen, den Abgeordneten Günter Mittag von seinen Funktionen als Stellvertreter des Vorsitzenden des Staatsrates und als Vorsitzenden des Volkskammerausschusses für Industrie. Bauwesen und Verkehr abzuberufen. Präsident Sindermann teilte mit, dass die Fraktionen der Volkskammer die Vorschläge beraten hätten. Anfragen im Plenum der Volkskammer gab es nicht.

Bei der Abstimmung erlangte Egon Krenz große Stimmenmehrheit, was mit starkem Beifall aufgenommen wurde. Gegen seine Wahl zum Vorsitzenden des Staatsrates stimmten 26 Abgeordnete, weitere 26 enthielten sich der Stimme. Bei seiner Wahl zum Vorsitzenden des Nationalen Verteidigungsrates gab es acht Gegenstimmen und 17 Stimmenthaltungen. Sofort nach der Wahl sprach Egon Krenz die Eidesformel.

Zurückgekehrt an seinen Platz wurde er von einer Abgeordneten namens der FDJ-Fraktion mit einem Blumenstrauß beglückwünscht. Horst Sindermann würdigte sodann unter dem Beifall der obersten Volksvertretung Erich Honecker, der an der Tagung aufgrund seines gesundheitlichen Zustandes nicht teilnahm, als einen deutschen Politiker, der aus den Erfahrungen einer leidvollen Geschichte unseres Volkes mutig und aus tiefstem Herzen für eine Ablösung der Herrschaft jener gekämpft hat, die nur Leid und Tränen über das Volk gebracht haben. Wörtlich sagte der Volkskammerpräsident: "Wir lassen die menschliche Größe des Revolutionärs und die kommunistische Anständigkeit unseres Genossen Erich Honecker nicht antasten." Erich Honecker würde weiter als Mitstreiter betrachtet.

Der Volkskammerpräsident bat Egon Krenz, das Wort zu seiner mehrfach von Beifall unterbrochenen Erklärung zu nehmen.

Nach der Erklärung des Vorsitzenden des Staatsrates, Egon Krenz, wurde die 10. Tagung der Volkskammer beendet.

Vor Beginn der Tagung hatten alle Fraktionen einzeln über den Wahlvorschlag beraten. Dazu äußerten sich gegenüber der "Aktuellen Kamera" des DDR-Fernsehens Vertreter der NDPD, der DBD, der LDPD und der CDU. Für die NDPD sagte Günter Hartmann, es sei von außerordentlicher Wichtigkeit, dass durch diese heutige Wahl die Deutsche Demokratische Republik international wieder handlungs-, verhandlungsfähig wird. Deshalb seien die National-Demokraten für diesen Zeitpunkt, für diese rasche Entscheidung über den Vorsitzenden des Staatsrates.

Erwin Binder betonte für die DBD, Egon Krenz als Staatsoberhaupt spreche für Kontinuität, für Sozialismus. Dieser Sozialismus, der auf das Wohl des Menschen gerichtet sei, habe bei allen Problemen viele Errungenschaften gebracht. Die DBD wolle diese Errungenschaften gewahrt und weiterentwickelt wissen.

Den Standpunkt der LDPD formulierte Hans-Dieter Raspe. Er glaube, in dieser Stunde müssten sich alle vom Verstand leiten lassen und aufpassen, dass Entscheidungen nicht von Emotionen überlagert werden. Man müsse sich vor allem unabhängig machen von Einflüsterungen derer, die es nicht gut mit diesem Land und dem Sozialismus in diesem Land meinen. Eine Wende auch im parlamentarischen Zusammenleben und im parlamentarischen Alltag könnte für die Zukunft bedeuten, dass nicht mehr alles einstimmig passiert. Dies wurde er sogar als einen Gewinn für die Demokratie in der DDR ansehen.

Wolfgang Heyl sagte für die CDU, es gehe einfach darum, den Mann zu wählen, der die Erneuerung herbeigeführt hat, denjenigen, der den Mut gehabt hat, die Probleme auf den Tisch zu legen, denjenigen, der auf die Bevölkerung zugegangen ist. Dies sei auch derjenige, der ohne Unterschied der Glaubenshaltung und der religiösen Einstellung gesagt hat, wir müssen miteinander diskutieren, der die verkrusteten Haltungen aufgebrochen hat zwischen Staat und Kirche und damit auch einen Neuanfang gemacht hat. Dieser Mann habe auch gerade in der letzten Zeit beruhigend auf die Entwicklung eingewirkt und gesagt, Dialog ja, aber mit dem Ziel, dass wir vorankommen, gut arbeiten. Das sei eine Voraussetzung, die alle mit schaffen wollten, jeder in seinem Verantwortungsbereich

Berliner Zeitung, Nr. 251, 45. Jahrgang, Mi. 25.10.1989

Berlin. Mit großer Stimmenmehrheit wurde Egon Krenz von den Abgeordneten der Volkskammer der DDR auf deren 10. Tagung am gestrigen Dienstag zum Vorsitzenden des Staatsrates und des Nationalen Verteidigungsrates gewählt. Die Tagung war auf Antrag der Fraktion der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands vom Präsidium der obersten Volksvertretung einberufen worden. Auf der Tagesordnung stand der Antrag der SED-Fraktion, die Wahlen in die höchsten Staatsämter vorzunehmen. Dazu läge, so Volkskammerpräsident Horst Sindermann, ein Brief der Fraktion an das Präsidium der Volkskammer vor. Der daraus resultierende Beschluss sei von großer Tragweite für unser Volk.

Vor Eintritt in die Tagesordnung nahm Horst Sindermann das Wort zu mehreren Anfragen von Abgeordneten, Ausschüssen und Fraktionen der Volkskammer. Das Präsidium habe sich, so sagte er, darüber verständigt, alle Vorschläge gründlich in den nächsten Tagen und Wochen zu beraten und daraus die Thematik für Problemdiskussionen zu konzipieren. Die nächste Tagung der obersten Volksvertretung, die für die zweite Novemberhälfte vorgesehen ist, werde dazu erste Aussagen machen. Man kann dieses Herangehen als einen ersten Schritt dazu werten, aus der Arbeit der Volkskammer, wie deren Präsident es sagte, den "Formalismus zu verbannen", aus der obersten Volksvertretung wieder ein im Interesse des Volkes arbeitendes Gremium zu machen.

Präsident Sindermann verlas dann den Antrag der SED-Fraktion, den Abgeordneten Erich Honecker von den Funktionen des Vorsitzenden des Staatsrates und des Vorsitzenden des Nationalen Verteidigungsrates der DDR abzuberufen. Als Nachfolger in diese beiden Ämter wurde der Abgeordnete Egon Krenz, Generalsekretär des Zentralkomitees der SED, vorgeschlagen. Weiter wurde vorgeschlagen, den Abgeordneten Günter Mittag von seinen Funktionen als Stellvertreter des Vorsitzenden des Staatsrates und als Vorsitzenden des Volkskammerausschusses für Industrie, Bauwesen und Verkehr abzuberufen. Diese Vorschläge waren vor der Tagung der Volkskammer von den Fraktionen beraten worden

Entsprechend der einstimmig angenommenen Tagesordnung votierten die Abgeordneten einmütig für die Abberufung Erich Honeckers, der aus gesundheitlichen Gründen an der Tagung der Volkskammer nicht teilnehmen konnte, als Vorsitzender des Staatsrates und des Nationalen Verteidigungsrates, um die er auf der 9. Tagung des Zentralkomitees der SED gebeten hatte. Volkskammerpräsident Horst Sindermann nahm zu diesem Tagesordnungspunkt das Wort und erklärte, Erich Honecker habe Jahrzehnte als der höchste Repräsentant des sozialistischen Staates gewirkt und mit uns allen zusammengearbeitet. „Wir haben ihm unseren Respekt bezeugt als dem unbeugsamen Widerstandskämpfer gegen Krieg und Faschismus, als dem deutschen Politiker, der aus den Erfahrungen einer leidvollen Geschichte unseres Volkes mutig und aus tiefstem Herzen für eine Ablösung der Herrschaft jener gekämpft hat, die nur Leid und Tränen gebracht haben. Wir lassen die menschliche Größe des Revolutionärs und die kommunistische Anständigkeit unseres Genossen Erich Honecker nicht antasten." Mit den besten Wünschen für dessen Gesundheit sagte Horst Sindermann unter dem Beifall der Abgeordneten, Erich Honecker werde weiter als Mitstreiter betrachtet.

Bei der folgenden Abstimmung wählten die Abgeordneten mit großer Stimmenmehrheit Egon Krenz zum Vorsitzenden des Staatsrates und des Nationalen Verteidigungsrates der DDR. Gegen seine Wahl stimmten 26 Abgeordnete, ebenfalls 26 enthielten sich der Stimme. Die Wahl von Egon Krenz zum Vorsitzenden des Nationalen Verteidigungsrates erfolgte mit acht Gegenstimmen und 17 Stimmenthaltungen.

Der Volkskammerpräsident bat den neugewählten Staatsratsvorsitzenden, den verfassungsmäßigen Eid zu leisten. Vom Rednerpult aus sprach Egon Krenz die Eidesformel: "Ich schwöre, dass ich meine Kraft dem Wohl des Volkes der Deutschen Demokratischen Republik widmen, ihre Verfassung und ihre Gesetze wahren, meine Pflicht gewissenhaft erfüllen und Gerechtigkeit gegenüber jedermann üben werde."

Dann gab der Staatsratsvorsitzende Egon Krenz eine Erklärung ab, in der er eingangs versicherte, seine Kraft, seine Energie und sein Pflichtbewusstsein in sein neues Amt einzubringen. Nach einer Würdigung seines Amtsvorgängers Erich Honecker führte Egon Krenz aus: "Dem Wohle des Volkes zu dienen, ist der elementare Leitsatz unseres Tuns als gewählte Abgeordnete der obersten Volksvertretung der Deutschen Demokratischen Republik." In diesen ereignisreichen Tagen seien die Bürger weithin von wahrer Aufbruchstimmung erfüllt. Mehr denn je erginge der Auftrag an die Abgeordneten der obersten Volksvertretung, mit Kompetenz, Konsequenz und Mut zur Wahrheit auf die Erfordernisse der Zeit zu reagieren und ständig bessere Antworten auf die nicht einfachen Fragen zu finden, die in unserem Land der Lösung harren. "Alles was wir tun", so der Staatsratsvorsitzende, "wird stets und vor allem an den Wirkungen für die Menschen zu messen sein".

Quittiert von dem Zwischenruf "Sehr gut!" sagte er weiter: „Wir stehen vor der Aufgabe, den lebendigen, den schöpferischen Sozialismus - wie ihn Lenin nannte - als Werk der Volksmassen umfassender und erlebbarer als bisher zu verwirklichen. Daran knüpft sich die Frage, wie es uns - nicht zuletzt auch hier in der Volkskammer fortan besser gelingen möge, dass die Entscheidungs- und Willensbildungsprozesse in der Gesellschaft als erlebbare Akte der Souveränität des Volkes gestaltet und überall auch so verstanden werden."

"Jeder sei aufgerufen, seinen Beitrag zu leisten für eine vertrauensvolle und konstruktive Zusammenarbeit in unserer sozialistischen Gesellschaft und für sie. Dazu ist Sachkenntnis und die Besonnenheit aller Bürger und Bürgerinnen vonnöten. Wer das Wohl des Volkes mit dem Ernst will, der für diese Pflicht notwendig ist, der wird immer zuerst an das Einende denken und das Gemeinsame suchen, ohne bestehende unterschiedliche Standpunkte damit zu verdrängen. Mit meinen Gesprächspartnern vom Bund der Evangelischen Kirchen in der DDR waren wir uns nach unserer Begegnung in der vergangenen Woche in der Überzeugung einig, dass es für den Dialog der Achtung vor der Überzeugung und dem Auftrag des jeweils anderen bedarf."

Unter dem starken Beifall der Abgeordneten betonte Egon Krenz weiter: "So wichtig Dialog und Debatte sind - und ich bekenne mich dazu hier und zu jeder Zeit -, das Brot des Volkes ist nur in gewissenhafter, von der eigenen Verantwortung für das Ganze bestimmter gemeinsamer Arbeit zu schaffen."

Auf die bei weitem nicht ausgeschöpften Potenzen eingehend, die sich aus einer aktiven Bündnispolitik ergeben, sprach der Redner von den zahlreichen wertvollen Vorschlägen von SED, DBD, CDU, LDPD und NDPD sowie der Massenorganisationen, die es für die weitere Gestaltung unserer Gesellschaft zu nutzen gelte.

"Ich möchte die Tribüne dieses Hohen Hauses nutzen", fuhr Egon Krenz fort, "um erneut an unsere Mitbürger zu appellieren, die sich möglicherweise weiterhin mit dem Gedanken tragen, unser Land zu verlassen: Unsere Heimat, Ihre Freunde, Ihre Kollegen, wir alle brauchen Sie. Jeder, der uns verlässt, ist einer zu viel. Unser Land erlebt einen neuen Aufbruch. Wir wollen ihn mit allen gehen. Wir sind uns gewiss: Hier hat jeder Bürger eine Perspektive, die den Einsatz von uns allen lohnt."

Die Völker der Erde, die Staaten des europäischen Kontinents, so versicherte der Redner, können sich weiter ganz darauf verlassen, dass die DDR zu jeder konstruktiven Mitarbeit bereit ist, wo es um Sicherheit und Stabilität in den internationalen Beziehungen geht. Dazu sei die Pflicht zu zählen, dass von deutschem Boden nie wieder ein Krieg ausgeht. Den Frieden für die heute lebenden und künftigen Generationen zu sichern, bleibe der erste Grundsatz der Politik der DDR.
Von unserer Berichterstatterin Carola Schütze

Neue Zeit, Zentralorgan der Christlich-demokratischen Union Deutschlands, Nr. 251, Ausgabe B, 45. Jahrgang, Mi. 25.10.1989

Δ nach oben