Berlin (ND). Massive Proteste schlugen am Donnerstag den Regierungen Sachsens und Mecklenburg-Vorpommerns für ihren Kahlschlag im Hochschulwesen entgegen. Die Sitzungen der Landtage in Dresden und Schwerin waren begleitet von Demonstrationen.
"Hört uns an!" - so forderten in Dresden Angehörige der LPG Hochschule Meißen vor dem Tagungsort des Parlaments, in dem zur selben Zeit ein Dringlichkeitsantrag der Fraktion Linke Liste/PDS abgelehnt wurde, der die Regierung zur Stellungnahme hinsichtlich ihrer Hochschulentscheidungen aufgefordert hatte. Allein in Sachsen stehen neben der Meißner Hochschule, der DHfK und dem Literaturinstitut "Johannes R. Becher" noch weitere 42 Sektionen, Wissenschaftsbereiche und Institute von Universitäten und Hochschulen vor dem "Aus". Dass sich die Abwicklungsbeschlüsse nicht auf Sachurteile über die Leistung stützen, sondern es sich von Rostock bis Ilmenau in erster Linie politisch motivierte Entscheidungen über die Wissenschaft handelt, zeigten in Dresden die Äußerungen der Minister Jähnichen und Meyer vor den Demonstranten aus der LPG-Hochschule. Während der Landwirtschaftsminister den Betroffenen schlicht das Recht auf Mitsprache bestritt, gestand Wissenschaftsminister Meyer offen politische Gründe ein.
Tausende Studenten und Mitarbeiter der Karl-Marx-Universität und weiterer Hochschulen der Messestadt protestierten in Leipzig gegen die Kahlschlagspolitik des Biedenkopf-Kabinetts. Besonders empört zeigten sich die Redner darüber, dass die Schließungen unter Umgehung des Landtags und in Verletzung der verfassungsmäßigen Autonomie der Hochschulen betrieben wurden. Der Jurist Prof. Werner Grahn von der Leipziger Uni verwies darauf, dass derzeit auch Hunderttausende ihre Arbeitsplätze in der Wirtschaft verlieren und konstatierte: "Hier wird ein ganzer Staat 'abgewickelt'." Wie erst nach der Kundgebung bekannt wurde, soll auch die Sektion Wirtschaftswissenschaften zu den betroffenen "ideologielastigen" Bereichen gehören. Ministerpräsident Biedenkopf nimmt dort seit dem Frühjahr eine Gastprofessur wahr. Die Leipziger Studentenräte riefen für Freitag zur Demonstration vor dem sächsischen Landtag in Dresden auf.
An der Berliner Humboldt-Universität folgten viele Beschäftigte dem Aufruf der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft zu einer Protestkundgebung gegen die drohende Teilabwicklung. Beim anschließenden Konzil wurde die noch amtierende Berliner Wissenschaftssenatorin Riedmüller-Seel, die weiterhin auf der von ihr als "personelle Erneuerung" deklarierten Teilabwicklung beharrt, von einem gellenden Pfeifkonzert empfangen. Nach Meinung der Senatorin werde der Erneuerungsprozess an der Berliner Universität wie auch an der Leipziger Karl-Marx-Universität noch nicht mit "notwendiger Härte" betrieben. Zu dieser Einschätzung wäre man auch auf der Kultusministertagung gelangt. Einer administrativ aufgedrückten Erneuerung will die Humboldt-Uni mit eignen Bemühungen zuvorkommen, für die das Konzil eine "Entschließung zur Strukturreform der Universität" verabschiedete.
(Neues Deutschland, Fr. 14.12.1990)
Deftige Pfiffe vom vollbesetzten Rang des Audimax der Humboldt-Universität (HUB) musste sich gestern Wissenschaftssenatorin Riedmüller-Seel gefallen lassen. Auf Einladung von Rektor Fink war sie - wenn auch nur für vierzig Minuten - zum außerordentlichen Konzil gekommen, um über die "Abwicklungspläne" für Teilbereiche der Universität Auskunft zu geben.
In Ökonomie und Jura sei ein Neuanfang nötig, da helfe kein Wegsehen. Dazu mache sie Vorschläge, weiter nichts, versuchte die Senatorin das Auditorium zu beschwichtigen. Ihre Ausführungen stießen die Hörer geradezu mit der Nase darauf, daß es keine Konzeption für die Berliner Wissenschaftslandschaft gibt, und die schnelle Lösung aller Probleme die "Abwicklung" sein soll. Von diesen Plänen fühlt sich die Uni-Leitung hintergangen, wurde sie doch aus jeglicher Diskussion ausgegrenzt. Die Arbeitsrechtsverhältnisse in den betreffenden Bereichen ruhen zu lassen, bedeute deren Kollaps. Außerdem werde der Einigungsvertrag unterlaufen, nach dem bei "übernommenen" Einrichtungen, zu denen die HUB zählt, Strukturveränderungen durch Kündigungen zu erfolgen haben. Die Ausnahme der Kündigung werde nun quasi zur Regel und lenke von der notwendigen Auseinandersetzung im Einzelfall ab. Gefördert würden stattdessen falsche Solidarität und Denunziation.
Die Universität stellt diesen Plänen das Einrichten gemischter Kommissionen (auswertige und eigene Wissenschaftler) zur personellen und strukturellen Erneuerung entgegen. Deren Aufgabe solle es u.a. sein, Hochschullehrer und wissenschaftliche Mitarbeiter bezüglich ihrer Lehrtätigkeit. wissenschaftlichen Kompetenz und Integrität zu bewerten. Die Arbeit solcher Kornmissionen könnte der Erneuerung den nötigen Schub geben. Denn viel Zeit - das wissen die Universitätsangehörigen am besten haben sie nicht mehr.
Protest der Gewerkschaft auf dem Uni-Hof
Vor dem Konzil fand auf dem Innenhof der HUB eine von der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft initiierte Kundgebung statt. Die geplante "Abwicklung" sei ein schwerer Schlag gegen die Autonomie der Uni, der überdies 50 weitere wissenschaftliche Einrichtungen Berlins träfe. Für kommenden Dienstag, 9 Uhr, wurde zur Protestkundgebung vor dem Rathaus Schöneberg aufgerufen.
Cordula Tegen
(Der Morgen, Fr. 14.12.1990)
Seit Donnerstag demonstrieren Studenten mit einer Mahnwache vor der Humboldt-Universität gegen die drohende Auflösung bestimmter Sektionen. Sie wollen die Aktion bis zum 18. Dezember fortsetzen, wenn im Berliner Abgeordnetenhaus über die Zukunft der Hochschullandschaft entschieden wird.
(Junge Welt, Mo. 17.12.1990)
Die Wellen schlugen vor dem sächsischen Landtag hoch, als Studenten der Hochschule für LPG in Meißen, deren "Abwicklung" am Vortage mitgeteilt worden war, mit Rufen wie "Wir sind das Volk" und "Hört uns an" zumindest ein Mitspracherecht einforderten. Der Landwirtschafts- und der Wissenschaftsminister verteidigten die Schließung der Schule, versprachen jedoch den Studenten, den Abschluss zu sichern.
(Berliner Zeitung, Fr. 14.12.1990)