Sa. 15. Dezember 1990

• • Abwanderung von gut ausgebildeten und leistungswilligen Menschen

    • Stuttgart. ADN/BZ Die Abwanderung von gut ausgebildeten und leistungswilligen Menschen aus den fünf neuen Ländern entweder in den Westen oder aus dem öffentlichen Dienst in den Dienstleistungssektor ist nach Ansicht der Gewerkschaft ÖTV ein "doppelt schlimmer Trend". Die ÖTV-Vorsitzende Monika Wulf-Mathies kritisierte, dass die Einkommen im öffentlichen Dienst der Ex-DDR nur 35 Prozent der West-Einkommen betragen. Besorgnis über die Abwanderung von bisher 42 000 Thüringern in Richtung Westen äußerte auch Ministerpräsident Josef Duchac. Als dringendes Anliegen seiner Regierung bezeichnete er es, neue Arbeitsplätze zu schaffen. Von allergrößter Wichtigkeit seien Investitionen, wie das Opel-Projekt, als Signalwirkung für Ostdeutschland und als Initialzündung für den Mittelstand.
      (Berliner Zeitung, Mo. 17.12.1990)

  • Entwurf einer geringeren Besoldung der Lehrer in den fünf neuen Ländern

    • München (ADN). Der bisherige Entwurf einer geringeren Besoldung der Lehrer in den fünf neuen Ländern wird von der Arbeitgemeinschaft Bayerischer Lehrerverbände (ABL) entschieden abgelehnt. Er sei "verfassungsrechtlich bedenklich" und demotiviere die Lehrerinnen und Lehrer in Ostdeutschland, stellte die Arbeitsgemeinschaft am Wochenende in München fest. Historisch und politisch begründete Unterschiede bisheriger Besoldungen im Öffentlichen Dienst in Ost und West dürften nicht fortgesetzt werden.
      (Neues Deutschland, Mo. 17.12.1990)

  • Protest von Studenten und Lehrkräfte

    • Die Studenten und Lehrkräfte werden die Abwicklungspläne nicht so ohne weiteres hinnehmen. Seit Donnerstag Nacht weht über dem Portal der Berliner Humboldt-Universität ein Transparent mit der Aufschrift "Mahnwache". Etwa 15 Studenten protestieren hier. An die 2 000 Angehörige der im Freistaat Sachen betroffenen Einrichtungen demonstrierten gestern ihren Frust, indem sie die Dreikönigskirche in Dresden, den Tagungsort des sächsischen Landtages, blockierten. Unter dem Motto "Wir geben unsere Bücher ob, aber nicht unseren Geist" stapelten vorwiegend Studenten und Mitarbeiter der Karl-Marx-Universität Leipzig, der DHfK und der LPG-HochschuIe Meißen vor dem Haupteingang einen Berg von Studienbüchern auf, verteilten an die Abgeordneten Flugblätter und forderten, der sächsische Wissenschaftsminister Prof. Hans-Joachim Meyer solle erscheinen und Stellung zu dem Kahlschlagkonzept nehmen, das in der sächsischen Geschichte des geistig-kulturellen Lebens seinesgleichen nicht haben dürfte. Sprechchöre konnten dies denn auch erzwingen. Einzige substantielle Äußerung vor der aufgebrachten Menge aber seine Erklärung, heute an der Studentenrätekonferenz teilzunehmen, und das Versprechen, im Januar einen Hochschulrat einzuberufen und dort auch die Kommilitonen mitarbeiten zu lassen.

      Einer der heftigst kritisierten Punkte war immer wieder die Art und Weise des offiziellen Vorgehens. Prof. Hans Poerschke, Direktor der ganz oben auf der Abschussliste stehenden Sektion Journalistik der KMU, erhellte auf einer Vollversammlung der Sektion den Hintergrund: Der Zustand der Wissenschaftseinrichtungen vom 9. Oktober 1989 (!!) liegt dem Beschluss der sächsischen Landesregierung zugrunde. Das bedeute die völlige Ignorierung und Verhöhnung der Erneuerungsarbeit, die ein Jahr lang in den Einrichtungen angestrengt betrieben worden ist. Ob im Sinne der Vorstellungen der neuen Herren in Dresden und anderswo, das sei dahingestellt. Viel schwerer wiege, dass die Regierenden nicht einmal den kleinen Finger gerührt hätten, um überhaupt den Versuch einer Prüfung vorzunehmen.

      Von welcher Art die Motive sind, die akademische Landschaft Ost einer Totalstutzung zu unterziehen, das demonstrierten gestern CDU-Abgeordnete mehr als eindrucksvoll. Nicht nur, dass einige den Saal verließen, just als Studentenratsvertreter Peer Pasternak ans Rednerpult treten durfte; nachdem er zu Erde gesprochen, rief Dr. Matthias Rößler seine Freunde mit den Worten zurück in den Saal: "Die CDU kann wieder reinkommen, der Extremist ist raus!" Derselbe Mann war es auch, der im Namen jener Partei, die nunmehr statt einer anderen im südlichsten der neuen Bundesländer immer recht hat, unmissverständlich erklärte: "Unsere Linie ist klar. Wir haben eine Konzeption, und wir werden die auch durchsetzen." Und die heißt: Weg mit allem Geistes- und Ideologiezeug dieser abgedankten DDR, radikal und so schnell wie möglich. Wer das will, der muss natürlich die Augen davor zumachen, welche Veränderungen es an den Unis und Hochschulen diesseits der Elbe inzwischen gibt.

      In diesem Falle handelt es sich um mehr als nur gewollte Ignoranz einer Landesregierung. Arroganz und Willkür sollen in den ehemaligen DDR-Ländern nun wohl das Heilmittel gegen SED-Zentralismus sein.
      Von CHRSTIAN HEYDT und ANDREAS MÜLLER
      (Junge Welt, Sa. 15.12.1990)

  • Der letzte Reaktorblock des Kernkraftwerkes Nord wird abgeschaltet

    • Greifswald (ADN) Der letzte Reaktorblock des Kernkraftwerkes Nord in Greifswald ist am Sonnabend abgeschaltet worden. Er war zugleich auch der letzte Reaktorblock, der auf dem Territorium der ehemaligen DDR noch in Betrieb war.

      Nach Angaben der Energiewerke Nord AG begann mittags der sogenannte 72-Stunden-Leistungsnachweis der Anlage, berichtet dpa. Der Abfahrprozess soll dann am Dienstag beginnen. Von diesem Zeitpunkt an erfolgt die Wärmeversorgung Greifswalds durch ein Ölheizwerk, das von Bonn mit 30 Millionen Mark gefördert wurde. Das endgültige Urteil über den Reaktor und die baugleichen Blöcke VI bis VIII, die bisher nicht in Betrieb gingen, soll im Frühjahr kommenden Jahres fallen.
      (Tribüne, Mo. 17.12.1990)

  • 1. Mittelstandstag in Güstrow

    • Güstrow (ADN). Ein Netz von Regionalflughäfen soll künftig Mecklenburg-Vorpommerns Einstieg ins Geschäftsleben erleichtern und einen die Küstenlandschaft nicht gefährdenden Tourismus in der Region ankurbeln. Diese Auffassung vertrat der Ministerpräsident des nördlichsten neuen Bundeslandes, Dr. Alfred Gomolka, am Sonnabend auf dem 1. Mittelstandstag der Region in der Nähe von Güstrow. Allein im zurückliegenden Jahr sind in Mecklenburg-Vorpommern 37 000 Anträge auf Unternehmensgründungen registriert worden, betonte Gomolka. Mit einem Landesbürgschaftsprogramm - insbesondere für jüngere Existenzgründer mit geringen Sicherheiten - wolle die Landesregierung diese Unternehmer unterstützen. Während der Veranstaltung wurde auch Kritik an der Treuhandanstalt laut, die vielerorts Entscheidungen hinauszögere und investitionswillige Geschäftsleute hinhalte. Die Vertreter aus Handel, Gewerbe, Industrie und Landwirtschaft sprachen sich für eine schnelle Reprivatisierung von enteigneten Betrieben aus.
      (Neue Zeit, Mo. 17.12.1990)

  • Mitgliedervollversammlung des Neuen Forum Berlin

    • Vom Nachdenken war die Rede, von Bestandsaufnahme. Die Reihen der Bürgerbewegungen haben sich nach vier Wahlen gelichtet, die veränderte politische Landschaft in Berlin zwingt zu neuen Überlegungen. "Eine Entscheidung ist fällig, welche Art von Politik wir machen", formulierte es Sebastian Pflugbeil auf der Mitgliedervollversammlung des Neuen Forum Berlin am Wochenende. Und fügte hinzu: "Wir müssen damit leben, dass wir wenige sind, nicht die Welt verändern können."

      Eindeutig bezeichnet sich das Neue Forum im neuen Statut als eine "politische Vereinigung von Bürgern, die gegen das Übergewicht der Parteien und des Staates in der gegenwärtigen repräsentativen Demokratie antritt". Das Ziel: Autonomie und Mitbestimmung der Kommunen sollen zum wesentlichen Element eines Systems föderativer Demokratie werden.

      Vor den rund 600 Berliner Mitgliedern der Bürgerbewegung steht die Frage einer Partnerschaft mit der Alternativen Liste. Deren Vertreter Bernd Köppel eine Zusammenarbeit in einer gemeinsamen Fraktion beschwor, von einem "ansonsten klassischen Fehlstart" sprach. Beim Neuen Forum sieht man es anders. Nach Sachgesprächen wäre eine Fraktionsgemeinschaft denkbar, erklärte gegenüber der Berliner Zeitung Pawel Strohner, Mitglied des Zentralen Arbeitsausschusses.

      Wichtig für die künftige Struktur ist der Sprecherrat (bisher ein Einzelposten). Gewählt wurden Bärbel Bohley, Bernd Florath und Thomas Reimer.
      MF
      (Berliner Zeitung, Mo. 17.12.1990)

      Mitgliedervollversammlung des Neuen Forum Berlin im Haus der Demokratie. Themen sind: Wahl der SprecherInnen, Arbeitsgruppen und Arbeit der neuen Berliner Abgeordneten.

  • PDS 10-Punkte für konkrete Politik

    • 10-Punkte für konkrete Politik

      1. Wehrt Euch gegen Wehrpflicht!
      (Parlamentarische Initiativen verbunden mit einer breiten außerparlamentarischen Bewegung, Herstellung von Bündnissen, landesweiten Kampagnen und anderer Aktionsformen, Basisinitiativen.)

      2. Kein Blut für Öl!
      (Deutsche Soldaten nicht zum Krieg an den Golf, sondern abgesichert ins Zivilleben. Verbot aller deutschen Rüstungsexporte; keine Grundgesetzänderung.)

      3. Für ein atomwaffenfreies Deutschland!
      (Verbot der Stationierung von Kernwaffen unter internationaler Kontrolle.)

      4. Weg mit dem Paragraphen 218!

      5. Arbeit für alle!
      (Arbeitsplätze schaffen, Recht auf die Arbeit in die Verfassungen, Konzepte, Aktionen, besonders in Ostdeutschland.)

      6. Schaut der Treuhand auf die Finger!
      (Schluss mit der Zerstörung sanierungsfähiger Betriebe und der Verschleuderung von Volksvermögen an westdeutsche Banken und Konzerne.)

      7. Bezahlbarer Wohnraum für alle!
      (Durchsetzung des Rechts auf Wohnungen in den Verfassungen, keine Gewalt gegen HausbesetzerInnen.)

      8. Für ein offenes Deutschland!
      (Für Toleranz und Integrationsfähigkeit, gegen jede Ausländerinnenfeindlichkeit und Nationalismus.)

      9. Gegen blinden Kahlschlag und blanke "Abwicklung"
      (Erhalt von Kultur-, Bildungs- und Wissenschaftspotential der ehemaligen DDR. Weg von Gesinnungsschnüffelei und Auslöschungspolitik.)

      10. Naturverträglich produzieren und leben!
      (Breite Ökologiediskussion und Dritte-Welt-Verständnis, neue Bündnisse; Vorortaktionen.)

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      (Vorgelegt vom stellv. Parteivorsitzenden der PDS, Dr. André Brie, auf der Tagung des Parteivorstandes am 14./15. 12. 1990 in Kleinmachnow.)
      (Neues Deutschland, Di. 18.12.1990)

  • Der Vereinigungsprozess des deutschen Sports ist abgeschlossen worden

    • Hannover (ADN) Der Vereinigungsprozess des deutschen Sports ist am Sonnabend abgeschlossen worden. Vom Hauptausschuss des Deutschen Sportbundes (DSB) wurden in Hannover die fünf neuen Landessportbünde Brandenburg, Mecklenburg-Vorpommern, Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen einstimmig aufgenommen. Damit erhöhte sieh die Mitgliederzahl der Organisation um zwei auf runde 24 Millionen, die in 75 000 Vereinen Sport treiben.

      Der bisherige Präsident des Deutschen Sportbundes. Hans Hansen, wird auch als erster gesamtdeutscher DSB-Chef die Geschicke des deutschen Sportes führen. Der 64jährige ist dazu für die nächsten vier Jahre vom DSB-Bundestag in geheimer Wahl mit überwältigender Mehrheit bestimmt worden.

      Zu Hansens Stellvertretern wurden die bisherigen drei in dieser Funktion, Erika Dienstl, Prof. Dr. Ommo Grupe und Dieter Grat Landsberg-Velen, sowie der Präsident des Landessportbundes Berlin, Manfred von Richthofen, und der ehemalige Präsident des aufgelösten DTSB, Martin Kilian, gewählt.

      Hans Hansen nannte die Vereinigung unter dem Dach des DSB einen "historischen Tag". Nun müsse man "alles tun, um zusammenzuwachsen zu einer Gemeinschaft guter Freunde".

      In einer vom Bundestag der Sportorganisation einstimmig verabschiedeten Anti-Doping-Resolution bekennt sich der DSB zu seiner Verantwortung für einen von jeglicher Manipulation freien und humanen Leistungssport.

      Auch Aktivensprecher Volker Grabovv fand klare Worte zur Doping-Diskussion der letzten Wochen: "Im Spitzensport wurde gedopt und das nicht nur in Deutschland-Ost oder -West, sondern in vielen Ländern. In einigen Disziplinen ist weit mehr gedopt worden, als in Einzelfällen in den Medien veröffentlicht worden ist." Die Anabolika-Kontrollen in der Vergangenheit seien "absolut unwirksam" gewesen. Die Sportler fordern jetzt glaubwürdige, unangemeldete Kontrollen zu jeder Zeit, auch wenn eine internationale Lösung noch weit entfernt scheine.
      (Tribüne, Mo. 17.12.1990)

  • Der Jugendherbergs-Hauptverbandes löst sich zum 31.12.1990 auf

    • JW. Die Auflösung des Jugendherbergs-Hauptverbandes (JHV) zum 31. 12. 1990 beschlossen am Sonnabend die Delegierten einer Mitgliederversammlung der Organisation. Die Interessen der Mitglieder werden jetzt von den Landesverbänden der neuen Bundesländer wahrgenommen, die bereits am 10. November 1990 in das Deutsche Jugendherbergs-Werk (DJH) aufgenommen worden sind.
      (Junge Welt, Mo. 17.12.1990)