Fernsehen und Rundfunk der DDR gab der Sprecher des Außenministeriums der DDR, Botschafter Wolfgang Meyer, folgendes Interview.
Die DDR hat in Übereinstimmung mit der Regierung der VR Polen entschieden, die Genehmigungen für ständige Ausreisen der DDR-Bürger, die sich gegenwärtig in der BRD-Botschaft in Warschau aufhalten, durch die dortige Botschaft der DDR in der VR Polen zu erteilen. Können Sie bitte diese Entscheidung etwas näher erläutern?
Die DDR hat sich bei dieser Entscheidung ausschließlich von humanitären Gesichtspunkten leiten lassen und deshalb die Initiative ergriffen, der polnischen Regierung einen entsprechenden Vorschlag zu unterbreiten. Dieser fand die volle Zustimmung unseres östlichen Nachbarn. Niemand sollte diese Entscheidung missverstehen. Sie ist uns nicht leicht gefallen. Wir brauchen jede Bürgerin und jeden Bürger und sind gewillt, gemeinsam mit allen die Ursachen zu ergründen und zu beseitigen, die dazu geführt haben, dass uns so viele den Rücken kehren.
Wen betrifft diese Entscheidung?
Sie betrifft jene Bürger der DDR, die, auch beeinflusst vom Rummel westlicher Medien der letzten Wochen, ihre Heimat, ihre Arbeit, ihre Verwandten und Bekannten in der DDR im Stich ließen. Das sind jene, die sich, verleitet von der völkerrechtswidrigen "Obhutspflicht" der BRD für alle Deutschen, in die BRD-Botschaft in Warschau begaben und die Rückkehr in die DDR ablehnen.
Betrifft diese Entscheidung nur die Botschaft der DDR in der VR Polen?
Ja. Ich möchte hinzufügen, dass diese Entscheidung nur zeitweiligen Charakter trägt. Es ist davon auszugehen, dass diese Dinge viel besser in der DDR geregelt werden können.
Warum wird von diesen Bürgern eigentlich nicht der normale Weg gegangen?
Diese Frage ist berechtigt. Jeder Bürger der DDR hat das Recht, bei den dafür zuständigen Abteilungen Inneres einen Antrag auf ständige Ausreise zu stellen.
Diese Anträge werden von den Abteilungen Inneres in großzügiger Weise entschieden. Deshalb sind Bestrebungen, über BRD-Botschaften die ständige Ausreise zu erreichen, nicht verständlich. Die Betreffenden sollten doch wissen -, wenn bei ihnen schon nicht die Einsicht siegt, hier ihr Zuhause zu sehen - dass mit einem solchen Schritt viele Probleme verbunden sind, die am bisherigen Heimatort vernünftig gelöst werden können.
Ich möchte nur an Fragen erinnern, die Angehörige oder Vermögenswerte der betreffenden Bürger in der DDR berühren.
Und wenn sich nun Bürger entschließen, wieder in die DDR zurückzukommen?
Jeder Bürger, der den Wunsch hat, in die DDR zurückzukehren, kann sich mit diesem Anliegen an die diplomatischen Vertretungen der DDR im Ausland, darunter auch an die Ständige Vertretung der DDR in der BRD, wenden.
Die DDR lässt sich dabei von dem völkerrechtlichen Grundsatz leiten, wonach jeder in sein Heimatland zurückkehren kann.
Wir werden allen, die zurückkehren wollen, soweit dem nicht triftige Gründe entgegenstehen, im Rahmen des Möglichen dabei behilflich sein, in ihrer angestammten Heimat wieder Fuß zu fassen.
Lassen Sie mich abschließend darauf hinweisen, dass das Politbüro des Zentralkomitees der SED der Regierung der DDR den Vorschlag unterbreitet hat, einen Gesetzesentwurf über Reisen von DDR-Bürgern ins Ausland vorzubereiten. Inzwischen ist der Innenminister beauftragt, umgehend einen solchen Gesetzesentwurf auszuarbeiten und dem Ministerrat vorzulegen. Niemand sollte also Entschlüsse fassen und überstürzte Handlungen begehen, die er später möglicherweise bereut.
(Neue Zeit, Sa. 21.10.1989)